Dossier

Die Kandidaten Fatah wählt Zentralkomitee

Die Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat bei der Wahl zu den Spitzengremien einen überraschend deutlichen Generationswechsel vollzogen. Zugleich wählten die rund 2500 Delegierten aber auch mehrere Vertreter aus dem als korrupt geltenden Führungszirkel von Ex-Präsident Jassir Arafat in das einflussreiche Zentralkomitee.

Abbas gelang es zwar, Opponenten aus der Führung der größten Palästinenserorganisation zu verdrängen, zugleich muss er aber künftig mit stärkerer Opposition der "jüngeren Garde" im Zentralkomitee, dem wichtigsten Entscheidungsgremium, rechnen. Das geht aus bislang inoffiziellen Abstimmungsergebnissen hervor, die von der Wahlkommission am Dienstag in Bethlehem bekanntgegeben wurden.

Der Fatah-Parteitag, der ursprünglich am Donnerstag vergangener Woche zu Ende gehen sollte, muss wegen der schleppenden Auszählung nun sogar noch um einen weiteren Tag auf Mittwoch verlängert werden. Erst dann werden voraussichtlich die offiziellen Endergebnisse für die Wahl des Zentralkomitees sowie des Revolutionsrates, dem parteiinternen Parlament, vorliegen.

"Extremist und Hardliner"

Nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan erhielt der 72-jährige Muhammad (Abu Maher) Ghneim 1338 Stimmen. 1948 war er einer der Mitgründer der Fatah und 1964 der Dachorganisation PLO. Er gilt als "Extremist und Hardliner" und ist ein entschiedener Gegner der Osloer Verträge mit Israel. Er kehrte nur wenige Tage vor Beginn des inzwischen einwöchigen Fatah-Parteitags mit ausdrücklicher Genehmigung Israels nach 20 Jahren nach Palästina zurück, aus dem er 1948 geflüchtet war. An der Seite Arafats beteiligte er sich am Kampf gegen Israel und war nach einer militärischen Ausbildung in Volksrepublik China Befehlshaber der "Sturmtruppen". Ghneim wollte eigentlich erst zurückkehren, nachdem ganz Palästina, also auch das Staatsgebiet Israels, "befreit" wurde.

Mehrere Jahre in israelischem Gefängnis

Marwan Barghouti wurde 2004 zu fünf Mal Lebenslänglich verurteilt.

Marwan Barghouti wurde 2004 zu fünf Mal Lebenslänglich verurteilt.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Ihm folgt mit 1112 Stimmen Mahmoud Al-Aloul (59) aus Nablus. Er saß mehrere Jahre im israelischen Gefängnis, ehe er nach Jordanien deportiert wurde. Al-Aloul hat während der Al-Aksa-Intifada zwei Söhne verloren.

An dritter Stelle ist Marwan Barghouti (50) mit 1063 Stimmen in das ZK gewählt worden. Barghouti, der als "gemäßigt" gilt, sitzt mit fünffacher lebenslänglicher Haft wegen Mordes im israelischen Gefängnis. Barghouti hat nach eigenen Angaben die im September 2000 ausgebrochene Intifada wochenlang vorher geplant und einen provokativen Besuch des Tempelberges des damaligen israelischen Oppositionschefs Ariel Scharon als Auslöser genutzt. Dennoch gilt Barghouti als "Hoffnungsträger" Palästinas und potentieller künftiger Präsident - sollte Israel ihn begnadigen.

Ehemaliger UN-Botschafter der PLO

Nasser Al-Kidwa, der Neffe Arafats, gehört zur jungen Generation der Fatah.

Nasser Al-Kidwa, der Neffe Arafats, gehört zur jungen Generation der Fatah.

(Foto: REUTERS)

Ebenfalls zur jüngeren Garde gehört der Neffe Jassir Arafats, Nasser al-Kidwa (50) ehemaliger UNO-Botschafter der PLO und Außenminister. Al-Kidwa hatte während des Parteitags den einstimmigen "Beschluss" durchgesetzt, wonach Israel seinen Onkel "ermordet" habe.

In den Friedensgesprächen mit Israel fungiert Saeb Erekat als Chefunterhänder.

In den Friedensgesprächen mit Israel fungiert Saeb Erekat als Chefunterhänder.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Ebenfalls neu im ZK sind der ehemalige palästinensische Geheimdienstchef Tawfiq Tirawi, der ehemalige Sicherheitschef im Westjordanland Dschibril Radschoub und der "ewige Verhandler" Saeb Erekat. Israel hat Tirawi aufgrund beschlagnahmter Dokumente aus dem Hauptquartier Arafats in Ramallah im Jahr 2002 schwere Vorwürfe gemacht, direkt in zahlreiche Terroranschläge involviert gewesen zu sein und sogar von der geplanten Ermordung des Tourismusministers Rehabeam Zeevi ("Ghandi") gewusst zu haben.

Dschibril Radschoub war Sicherheitsbeamter unter Arafat.

Dschibril Radschoub war Sicherheitsbeamter unter Arafat.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Einen großen Erfolg konnte Muhammad Dahlan mit 853 Stimmen verbuchen. Der 48-Jährige sollte erst als Kandidat ausgeschlossen werden, insbesondere durch Ahmad Qureia (72) und schlug dann doch seine Widersacher der alten Garde. Dahlan steht im Ruf, korrupt zu sein und im Gazastreifen seine Kontrahenten gefoltert zu haben. Dahlan war der Sicherheitschef im Gazastreifen. Innerhalb der Fatah ist er umstritten, weil er im Juni 2007 den Gazastreifen fast kampflos der Hamas ausgeliefert hatte und selber nach Ramallah geflohen war.

Nabil Schaath ist ehemaliger palästinensischer Außenminister.

Nabil Schaath ist ehemaliger palästinensischer Außenminister.

Ein weiterer bekannter Name im ZK ist Nabil Schaath, der sich oft der Weltpresse stellt, um die Politik der Autonomiebehörde zu erklären. Salim Zanoun war Vorsitzender des Parlaments der Autonomiebehörde. Othman Abu Gharbiya war Berater Arafats und gilt als Ideologe der Fatah. Den 18. Platz hat gemäß dem vorläufigen Wahlergebnis der Ökonom und Abbas-Berater Muhammad Shtayeh eingenommen. Er hatte nur eine Stimme mehr erhalten als der linksgerichtete Tayyib Abdul Rahim, Diplomat und ehemaliger Direktor des Rundfunksenders "Stimme Palästinas".

Zwei Stimmen zu wenig für Ahmad Qureia

Mit nur zwei Stimmen abgeschlagen wurde Ahmad Qureia ehemaliger Ministerpräsident und Vertreter der "alten Garde". Qureias Privatfirma soll Zement aus Ägypten importiert und an Israel verkauft haben für den Bau der international kritisierten israelischen Sperrmauer. Entsprechende Gerüchte wurden 2004 von einem Untersuchungsausschuss des palästinensischen Parlaments bestätigt. Qureia hatte die ersten Geheimverhandlungen der PLO mit Israel vor den "Osloer Verträgen" und zuletzt die wöchentlichen Gespräche mit der ehemaligen Außenministerin Zipi Livni und mit Regierungschef Ehud Olmert geführt.

Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm

Der Nahe Osten ist sein Metier. Ulrich W. Sahm berichtet seit Mitte der 1970er Jahre aus der Region. Er ist  immer auf der Suche nach der Geschichte hinter der Nachricht.

Quelle: ntv.de, Ulrich W. Sahm, mit dpa

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