Dossier

Besonders die Kinder leiden Flucht vor den Taliban

Vor allem für Kinder ist das Erlebte traumatisch.

Vor allem für Kinder ist das Erlebte traumatisch.

(Foto: AP)

Seit Beginn der Kämpfe vor zwei Wochen flüchteten mehr als eine Million Zivilisten in Pakistan vor den Taliban. Besonders die Kinder leiden unter dem Erlebten, viele haben Albträume.

Es ist heiß und stickig, Rehmat Noor ringt mühsam nach Luft. Die alte Frau taumelt verschwitzt in das medizinische Versorgungszelt im Flüchtlingslager Jalala im Nordwesten Pakistans. "Ich bin schwach und kann kaum noch laufen", klagt die fast erblindete Greisin, in deren Mund nur noch drei verfaulte Zähne stehen. Noors Familie ist aus ihrem Bergdorf im Distrikt Buner vor den seit Wochen andauernden Kämpfen zwischen der pakistanischen Armee und den radikalislamischen Taliban geflohen. Seitdem hat die alte Frau kaum geschlafen.

Auf der Flucht konnten Rehmat und ihre Familie nichts retten, außer ihrem Leben. "Wir haben unsere Ernte, unser Haus und all unser Eigentum zurückgelassen", berichtet Noor mit tränenden Augen. "Das Getreide muss jetzt geerntet werden, aber wir sind nicht dort. " Gemeinsam mit zahlreichen anderen Flüchtlingen schläft die Familie nun auf dem harten Betonboden einer verwaisten Schule. Bereits vor Beginn der Militäroffensive waren hunderttausende Bewohner der Nordwestprovinz vor dem Taliban-Regime geflohen. Seit Beginn der Kämpfe vor zwei Wochen flüchteten nochmals mehr als eine Million Zivilisten.

Dramatische Zustände

Freiwillige bemühen sich in den Flüchtlingslagern der Regierung nach Kräften um die Versorgung der Vertriebenen. Doch es fehlt an Unterkünften und an Nahrung, bis zu 15 Menschen schlafen gemeinsam in einem Zelt. Die Trinkwasserpumpe steht direkt neben stinkenden Latrinen, besonders Kinder haben Durchfall. Überall schwirren Fliegen, in den Büschen und Feldern ringsum kriechen gefährliche Schlangen und Skorpione. Es gibt keinen Strom, nichts erleichtert die drückende Hitze, die die aus den Bergen kommenden Menschen nicht gewöhnt sind.

Doch die in dem Lager Jalala im Distrikt Mardan untergekommenen Flüchtlinge leiden nicht nur an Hunger und Hitze, warnt der Psychologe Atta-ur-Rehman. Die Vertriebenen seien geplagt von Sorgen um die Zukunft ihrer Familien. Keiner weiß, wann oder ob sie jemals in ihre Dörfer zurückkehren können.

Depressionen und Schlaflosigkeit

"Diese Menschen sind seelisch gestört, sie leiden unter Depressionen und Schlaflosigkeit", berichtet Arzt Rehman inmitten einer Schar von Flüchtlingen, die ihm ihre Geschichte erzählen wollen. Diese Geschichten handeln von Gräueltaten der Taliban, die immer wieder angebliche "Spione" hinrichteten, von Ausgangssperren und Leichen in den Straßen. Die Geflohenen berichten dem Arzt von Mörserbeschuss, Luftangriffen und der Angst auf der Flucht vor dem Morden.

Besonders leiden die Kinder unter dem Erlebten, viele haben Albträume. "Wenn sie Hubschrauber oder bewaffnete Männer sehen, schreien und weinen sie", berichtet Shabana, die ihre zweijährige Tochter in den Armen wiegt. Eine ihrer Töchter habe in der vergangenen Nacht das Zelt verlassen und sich versteckt. Erst nach langer Suche fand ein Nachbar das verängstigte Kind.

Schwerwiegende Folgen für Kinder

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF warnt vor den schwerwiegenden Folgen der Gewalt für Kinder. In 13 Flüchtlingslagern versuchen Mitarbeiter die Kinder weiter zu unterrichten und ihnen Gelegenheiten zu bieten, sich zu erholen. Die Kinder verstehen nichts von den Hintergründen der Kämpfe zwischen Islamisten und Armee. Sie plagen Sorgen um ihre Familien oder wie die zwölfjährige Nabila Bibi im Lager Yar Hussain um ihre Puppen, die sie allein zurücklassen musste. "Ich fühle mich allein, weil meine Puppen nicht bei mir sind", sagt sie traurig.

Im Lager Jalala spricht Shabana aus, was viele hier angesichts der Militäroffensive denken: Sie habe nichts gegen die Taliban. Auch eine Gruppe Männer diskutiert über die Islamisten und findet, dass es richtig von den Taliban war, Musik zu verbieten und die Regierungstruppen anzugreifen. Ein Junge spielt mit einem Plastikgewehr. Auf die Frage nach seinem Berufswunsch schweigt er, doch die anderen Kinder lachen und rufen: "Taliban, Taliban!"

Quelle: ntv.de, Jennie Matthew, AFP

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