Dossier

"Gejagt und getötet" Grauen sucht Ferieninsel heim

Die Tat eines mutmaßlich Rechtsextremen erschüttert Norwegen. Bei einem beispiellosen Attentat auf ein Ferienlager sterben zahlreiche Jugendliche. Regierungschef Stoltenberg spricht von einer "nationalen Tragödie".

Überlebende des Amoklaufs.

Überlebende des Amoklaufs.

(Foto: REUTERS)

Sie hatten sich zu einem fröhlichen Sommerlager versammelt, doch sie erlebten die Hölle auf Erden. Auf der norwegischen Insel Utöya eröffnet ein als Polizist verkleideter Mann das Feuer auf die Teilnehmer eines Jugendcamps der regierenden Arbeiterpartei. Bevor er von der Polizei überwältigt werden kann, tötet er mindestens 84 vorwiegend junge Menschen. Norwegen ist geschockt angesichts des unvorstellbaren Blutbads. Und die Überlebenden des Massakers finden kaum Worte, um das Grauen zu beschreiben, das ihnen auf der idyllischen Insel widerfahren ist.

"Als er geschrien hat, dass er uns umbringen würde, sah er aus wie jemand aus einem Nazi-Film", sagt Adrian Pracon. "Er hat angefangen auf die Leute zu schießen, da habe ich mich hingelegt und tot gestellt. Er stand vielleicht zwei Meter neben mir. Ich konnte seinen Atem hören. Ich konnte die Wärme seines Maschinengewehrs spüren." Der etwa 1,90 große und blonde Angreifer trifft den 21-Jährigen in der linken Schulter, das Interview gibt Pracon dem australischen Fernsehsender ABC vom Krankenhaus aus.

Jugendliche flüchten

Rund 600 junge Menschen befinden sich auf der Insel, als der Angreifer, nach Angaben der Polizei ein 32 Jahre alter Norweger, gegen 17 Uhr das Feuer eröffnet. Bei den Teilnehmern herrscht zunächst Verwirrung. "Wir haben plötzlich Schüsse hinter einem Hügel gehört", berichtet Khamshajiny Gunaratnam, eine Überlebende, in ihrem Internetblog. "Wir haben uns gedacht: Mensch, wer jagt denn hier? Es konnte doch nichts anderes sein als ein Jäger."

(Foto: REUTERS)

Dann bricht Panik aus. Die Teilnehmer flüchten vor den Schüssen, versuchen sich zu verstecken, viele springen ins Wasser, um sich schwimmend an das rund 700 Meter entfernt liegende Festland in Sicherheit zu bringen. Doch der Angreifer schießt auch auf die Flüchtenden im Wasser.

Der 32-Jährige soll auch hinter dem Bombenanschlag stehen, der kurz zuvor das Regierungsviertel in der Hauptstadt Oslo erschüttert und mindestens sieben Menschen tötet. Vermutlich fuhr er, nachdem er die Bombe in Oslo platziert hat, mit einer Fähre auf die in der Region gelegene Insel Utöya über. Dort setzt er offenbar den zweiten Teil seines perfiden Plans um: In einen Polizeipullover gekleidet lockt er Zeugenaussagen zufolge die Teilnehmer des Camps zu sich, die kurz zuvor vom Bombenanschlag in Oslo gehört hatten. Er habe gesagt: "Kommt zu mir, ich habe wichtige Informationen, kommt zu mir, es besteht keine Gefahr", sagt die 15-jährige Elise der Nachrichtenagentur NTB. Dann habe er das Feuer eröffnet.

Schreckliche Bilder

Auch am Tag nach dem Angriff bietet sich vor Ort ein Bild des Schreckens, noch immer sind Tote zu sehen. In dem Hotel auf dem Festland, in das die Überlebenden gebracht wurden, liegen sich Eltern und ihre vollkommen aufgelösten Kinder in den Armen. Andere laufen offenbar unter Schock wie ziellos in der Gegend umher.

Regierungschef Jens Stoltenberg.

Regierungschef Jens Stoltenberg.

(Foto: REUTERS)

Sichtlich erschüttert ist auch Regierungschef Jens Stoltenberg. "Ein Paradies der Jugend wurde in wenigen Stunden zur Hölle", sagt er. Er selbst hätte am Samstag in dem Lager eine Rede halten sollen. "Das ist ein Albtraum", sagt der Ministerpräsident. Ihn schmerze der Angriff umso mehr, als er Utöya seit 1974 jedes Jahr besucht habe. "Ich habe dort Freude, Engagement und Sicherheit erfahren", sagt Stoltenberg. Nun habe sich in dem Sommerlager "eine brutale Gewalt ereignet".

Die Jungsozialisten wollen ihre Sommerlager aber auch künftig auf der Insel abhalten. "Wir werden den Kampf für unsere Überzeugungen nicht aufgeben", sagt deren Chef Eskil Pedersen. "Wir werden nach Utöya zurückkehren."

Doch an das kommende Jahr denkt jetzt in Norwegen noch niemand wirklich. Zu groß ist das Entsetzen über das Massaker von Utöya. "Ich schaffe es nicht, eine einzige Träne zu vergießen", schreibt die Überlebende Khamshajiny in ihrem Blog. "Ich kann es nicht glauben: Heute wäre ich fast getötet worden. Gejagt und getötet."

Quelle: ntv.de, AFP

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