Dossier

Strom und Straßen, Wasser und Weizen Gute Nachrichten aus Afghanistan

"Manchmal denkt man, die Taliban stehen vor den Toren Kabuls", sagt ein junger Afghane. Und dennoch: Es gibt Erfolgsgeschichten vom Hindukusch.

Das penetrante Geräusch, das lange Jahre an jeder Ecke Kabuls zu hören war, stand symbolisch für die Trägheit des Wiederaufbaus in Afghanistan. Nun aber ist das dumpfe Brummen der Generatoren verstummt. Mehr als sieben Jahre nach dem Sturz der Taliban hat die afghanische Hauptstadt neuerdings fast durchgängig Strom. Der Markt für Generatoren ist eingebrochen, der für Fernseher boomt. Die Stromversorgung ist nur eine der Erfolgsgeschichten in dem Land, das sonst meist negative Schlagzeilen macht. Die Regierung erwartet die beste Weizenernte seit 32 Jahren. Das seit langem auf internationale Hilfslieferungen angewiesene Land wird seine Menschen in diesem Jahr beinahe ohne Importe ernähren können.

TV-Geschäft in Kabul.

TV-Geschäft in Kabul.

(Foto: AP)

Nach einer am Dienstag in Kabul vorgestellten Studie der Regierung und der Vereinten Nationen kann Afghanistan mit einer Zunahme der Weizenproduktion um satte 63 Prozent rechnen. Die Rekordernte nach Jahren der Dürre ist vor allem, aber nicht nur großzügigen Regenfällen geschuldet. Die verstärkten Wiederaufbau-Bemühungen allen voran der Amerikaner konzentrieren sich zunehmend auf den lange vernachlässigten Agrarsektor, in dem 80 Prozent der Afghanen arbeiten. Unterstützt von westlichen Fachleuten machen Bauern erste zaghafte Versuche, ihre Produkte zu exportieren. In Dubai sind inzwischen die wegen ihres Geschmacks in der Region berühmten Granatäpfel aus dem südafghanischen Kandahar erhältlich.

Der weltweit stark gestiegene Weizenpreis hat außerdem dazu geführt, dass viele afghanische Bauern in diesem Jahr auf Getreide umgesattelt haben. Einen positiven Effekt hat das auf den immer noch Besorgnis erregenden Drogenanbau in Afghanistan. Das Land war 2008 erneut für mehr als 90 Prozent der weltweiten Produktion von Rohopium verantwortlich, dem Grundstoff für Heroin. Das UN-Büro für Drogen und Kriminalität (UNODC) erwartet nun, dass der Anbau von Schlafmohn weiter zurückgeht. 18 der 34 Provinzen waren im vergangenen Jahr als "anbaufrei" erklärt worden, in diesem Jahr könnten es nach Einschätzung von UNODC bis zu 22 werden.

"Es ist bestimmt nicht alles negativ"

Früchte tragen langsam auch viele Wiederaufbau-Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur. Kraftwerke beginnen mit der Stromproduktion, die Wasserversorgung ist verbessert worden. Krankenhäuser werden eröffnet, Schulen gebaut, Straßen asphaltiert. Trotz der weltweiten Krise wächst die afghanische Wirtschaft mit zweistelligen Raten, wenn auch von einem niedrigen Niveau aus. "Vielen Menschen geht es besser als vor einem Jahr", sagt der Sprecher der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA), Adrian Edwards. "Es ist bestimmt nicht alles negativ. Es gibt positive Entwicklungen."

Westliche Experten in Kabul bescheinigen der Regierung von Präsident Hamid Karsai zumindest in Teilbereichen eine bessere Arbeit als noch im vergangenen Jahr. Trotz vollmundiger Drohungen der Taliban rechnet zudem kaum jemand damit, dass die Aufständischen die Präsidentschaftswahl im August verhindern könnten, in die Karsai als Favorit geht. Die Wählerregistrierung jedenfalls wurde zu einem unerwartetem Erfolg - und verlief entgegen aller Befürchtungen selbst im unruhigen Süden relativ störungsfrei. Trotzdem ist die Sicherheitslage weiterhin alarmierend. Und an der Entwicklung im Sicherheitsbereich wird sich entscheiden, ob die Staatengemeinschaft am Hindukusch erfolgreich sein oder scheitern wird.

Taliban noch lange nicht geschlagen

Das "Afghan Fried Chicken"-Restaurant, ebenfalls in Kabul.

Das "Afghan Fried Chicken"-Restaurant, ebenfalls in Kabul.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

"Sicherheit ist eine Vorbedingung", sagt Edwards. Jeden Tag vermelden die ausländischen Truppen getötete Aufständische, doch geschlagen sind die Taliban noch lange nicht - im Gegenteil. Nicht nur der Süden, selbst an Kabul angrenzende Provinzen sind inzwischen so unsicher geworden, dass sich selbst Afghanen aus der Hauptstadt dort nicht mehr hin trauen. Bei den Operationen der internationalen Streitkräfte kommen zudem immer wieder Zivilisten ums Leben. Für die meisten Afghanen spielt dabei kaum eine Rolle, dass die Taliban Unschuldige als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Die Truppen, besonders die Amerikaner, werden zunehmend als Besatzer empfunden - wie einst die Rote Armee, die 1989 geschlagen abzog.

Der Schlüssel liegt in der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte. Auch in diesem Bereich verstärken die USA ihr Engagement deutlich. Doch in der Bevölkerung wachsen Zweifel daran, ob die Aufständischen jemals besiegt werden können. "Manchmal denkt man, die Taliban stehen vor den Toren Kabuls", sagt ein junger Afghane, der in der Hauptstadt für eine ausländische Firma arbeitet. Bald 30 Jahre Krieg und Bürgerkrieg haben ihn und viele seiner Landsleute ungeduldig werden lassen. Erfolge beim Wiederaufbau hin oder her: Sie wollen Frieden, und sie wollen ihn schnell, zur Not auch unter einem erneuten islamistischen Regime. Das Projekt der Internationalen Gemeinschaft in Afghanistan macht zwar Fortschritte - zugleich aber ist es zu einem Rennen gegen die Zeit geworden.

Quelle: ntv.de, Can Merey, dpa

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