Klinkenputzen im "Adlon" Im Stundentakt beim Dalai Lama
19.05.2008, 17:10 UhrDer Dalai Lama lacht. Er sitzt auf einer Couch im Berliner Hotel "Adlon" und klopft sich auf die Schenkel. Gerade waren chinesische Journalisten bei ihm. Jene, die ihn und seine Gefolgsleute vor kurzem noch als "Dalai-Lama-Clique" und Separatisten verschmäht hatten. "Ich war total entspannt, aber die waren ein bisschen nervös", plaudert er. Vielleicht ist es das wichtigste Ergebnis seines so heiß diskutierten ersten Deutschlandbesuchs nach Beginn der Unruhen in Tibet: Der Dialog scheint von chinesischer Seite mehr als nur ein Lippenkenntnis zu sein. Viel Unterstützung bekommt er im "Adlon" für den hoffnungsvollen Dialog - Politiker geben sich die Klinke in die Hand.
Als einzige Regierungsvertreterin ist Heidemarie Wieczorek-Zeul dabei. Oh, so viele Journalisten habe sie nicht erwartet, sagt die Entwicklungsministerin verdutzt. Selten ist einer ihrer Auftritte von einem solchen Medienauftrieb begleitet worden, selbst die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hat einen Vertreter geschickt. Das 45-Minuten-Gespräch der Ministerin mit dem Dalai Lama hat den Berliner Politikbetrieb mächtig in Wallung gebracht - besonders aber ihre Partei, die SPD. Draußen vor dem Hotel schütteln Tibet-Aktivisten den Kopf über SPD-Chef Kurt Beck, der das Treffen einen "Scheiß" genannt haben soll. Der Dalai Lama denkt pragmatisch: Das sei Sache der deutschen Politik, sagt er.
Europaweit im Rampenlicht
Der 72-Jährige, ein religiöses Oberhaupt im Exil, verfügt in Europa nur über die Unterstützung von Büros in Genf, Brüssel, London und Paris - mit jeweils maximal drei Mitarbeitern. Aber diese - und die Tibet Initiative Deutschland - schaffen es, ihn europaweit ins Rampenlicht zu rücken und Druck auf China auszuüben. Das "Adlon" wird zum großen Begegnungszentrum mit "Seiner Heiligkeit". Erst kommt Wieczorek-Zeul, die damit beschäftigt ist, ihr Treffen zu verteidigen. Parteipolitik sei fehl am Platz. "Ich finde, dass wird weder den Menschen in der betroffenen Region gerecht, noch der Persönlichkeit des Dalai Lama. Deshalb habe ich auch bewusst (...) parteipolitische Überlegungen zurückgewiesen."
Dann warten weitere Politiker in der Lobby auf ihren Gesprächstermin: Unionsfraktionschef Volker Kauder und Berlins Oppositionsführer Friedbert Pflüger (beide CDU) wollen dem Dalai Lama moralische Unterstützung zukommen lassen. Zwischendurch hängt der noch Schauspielern wie Hannes Jaenicke seinen weißen Friedensschal um.
Sein Sondergesandter Kelsang Gyaltsen verfolgt derweil abseits des Empfangsmarathons die politischen Anliegen der Visite. Er ist einer von zwei tibetischen Vertretern bei den Gesprächen mit Peking. In der Lobby berichtet er über Details der ersten Unterhaltung nach den schweren Unruhen.
Uneinigkeit in der Bewegung
Entspannt habe man am 4. Mai im chinesischen Shenzhen bei Kaffee und Kuchen mit zwei Vizeministern, zuständig für Minderheiten und religiöse Gruppen, gesprochen. "Am Morgen haben beide Seiten, alles, was sie auf dem Herzen haben, dargelegt. Am Nachmittag wurde ein Brainstorming gemacht, wie die Probleme gelöst werden können." Gyaltsen hofft, dass die Bereitschaft zum Wandel bei den Chinesen anhält. "Die Olympiade ist wichtig", hätten sie zugegeben, aber auch bekräftigt, dass Stabilität und Normalität in Tibet erreicht werden müssten.
"Es gibt derzeit ein riesiges Militäraufgebot in Tibet. Das wird nicht auf Dauer aufrecht zu erhalten sein", sagt Gyaltsen. Wenn die Gespräche scheiterten, könnten die Proteste wieder aufflammen. Er bekräftigt die Forderung nach religiöser und kultureller Freiheit für alle sechs Millionen Tibeter - auch für die in den angrenzenden Provinzen. Dabei geht es auch um Freiheit in Bildungsfragen und das Erstzugriffsrecht auf Bodenschätze. Diese Punkte sind zwar auch in Chinas Verfassung verankert. "Das Problem ist, dass das alles nur auf dem Papier steht." Mitte Juni soll weiter geredet werden.
Vor dem Hotel warten in der Zwischenzeit Tibet-Sympathisanten mit Fahnen und Gesängen auf den Dalai Lama. Während deutsche Gläubige die Hände andächtig zum Gebet gefaltet haben, geben sich Exil-Tibeter kämpferisch. Ihre Forderungen zeigen aber auch die Uneinigkeit in der Bewegung - sie fordern mehr, als dem Dalai Lama lieb ist. "Er spricht von Autonomie, aber wir wollen Unabhängigkeit von China", sagt Tashinyima, der extra aus Antwerpen angereist ist.
Von Georg Ismar, dpa
Quelle: ntv.de