Krawalle am 1. Mai In der Zelle werden Skinheads kleinlaut
02.05.2010, 13:00 UhrHinter dem schmiedeeisernen Tor der Gefangenensammelstelle in Berlin-Moabit wird es ernst: Wer hier am 1. Mai landet, kann sich schnell vor dem Haftrichter wiederfinden.
Nahe dem Kurfürstendamm in Berlin haben sich am 1. Mai Anhänger rechter Gruppen versammelt, die von Polizeibeamten am Weitergehen gehindert werden.
(Foto: picture alliance / dpa)
In der Sammelzelle in Berlin-Moabit stehen sechs Doppelbetten nebeneinander, statt Matratzen gibt es Holzbretter. Die Wände sind in hellem Beige frisch gestrichen, die Gitter haben die gleiche Farbe. In dieser Zelle werden die härtesten Jungs mit Glatzkopf, Militärhose und Ganzkörper-Tätowierung am 1. Mai kleinlaut. "Ein paar fangen noch an zu rufen, aber das ist es dann meist auch", sagt Polizist Udo Rosentreter. Wie ein Fels in der Brandung koordiniert er fast alles, was mit Festnahmen am 1. Mai in Berlin zu tun hat. Eine Stunde später sind viele Zellen belegt.
In Rosentreters Quartier in der Moabiter Kruppstraße 15 geschieht all das, was im Fernsehen nicht mehr zu sehen ist: Festgenommene werden fotografiert, durchsucht und dann in die beigen Sammelzellen gebracht. Ist Alkohol im Spiel, gibt es vorher einen Bluttest. Wiegt ein Verdacht schwer, müssen Fingerabdrücke her. Es kann laut und unangenehm werden bei dieser Prozedur, einige Polizisten tragen Schutzkleidung. Sie sehen aus wie Sylvester Stallone als Judge Dredd.
Zeugen der 1.-Mai-Straftaten sind oft Polizisten. In der Kruppstraße geben sie bei der Kripo sofort zu Protokoll, was sie gesehen haben: Steinwürfe, Molotowcocktails, Gewaltattacken. Mehr als eine Stunde dauert es oft, bis jeder Fall detailliert im Computer erfasst ist, auch für mögliche spätere Gerichtsverhandlungen. Staatsanwalt und Richter entscheiden danach, was mit den Verdächtigen passiert. "Bei einem Drittel wird ein Haftbefehl geprüft, ein Drittel bleibt bis zum nächsten Tag im Polizeigewahrsam und ein Drittel geht nach Hause", sagt Rosentreter aus Erfahrung.
"Geht grad' nicht, Mäuschen"
Ein großes Polizeiaufgebot versucht am 1. Mai in Berlin ein Zusammentreffen von rechten Teilnehmern einer NPD-Demonstration und linken Gegendemonstranten zu verhindern.
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300 Kollegen sind in dem Backsteinbau aus preußischen Zeiten im Einsatz. Es wird stickig auf den Etagen. Alle paar Sekunden steckt jemand den Kopf in Udo Rosentreters Dachgeschoss-Zentrale. Wohin mit dem Klappmesser als Beweisstück? Rosentreter bräuchte zehn Arme, um alle klingelnden Telefone zu bedienen. Wie viele Festgenommene? Gibt es genug Transporter? Alles vom Hof, was rollen kann. Über der Tür hängt ein Monitor, der Live-Bilder aus den Polizeihubschraubern zeigt, auf drei Bildschirmen blinken Tabellen mit Straftäter-Daten. Gegen den Stress gibt es Kuchen und Gummibärchen. In einen Telefonhörer flüstert Rosentreter: "Geht grad' nicht, Mäuschen."
Mehr als 280 Skinheads sind auf der Rechten-Demo festgenommen worden. "Ich will nur die Straftäter und die Rädelsführer, alle anderen nicht", betont Rosentreter am Telefon. Es nutzt nichts. Die Kruppstraße bekommt 100 rechte Glatzköpfe zugewiesen, auch Fußvolk. Es muss eben gehen. Am Sonntag waren noch drei der Rechtsextremisten in Polizeigewahrsam. Die anderen wurden nach Hause geschickt, doch gegen sie wird weiter ermittelt.
"Menschenunwürdige" Zustände für Rechte
Mehr als 10.000 Demonstranten in mehreren deutschen Städten stellten sich am 1. Mai Aufmärschen von Neonazis entgegen.
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Es ist lange her, dass Rosentreter beim 1. Mai an Tanz und Vergnügen dachte. Seit Januar hat er sich auf seinen Einsatz vorbereitet, der offiziell "kriminalpolizeiliche Maßnahme" und "zentrale Beurteilung" heißt. Doch viele sagen einfach Gefangenensammelstelle. Das trifft es besser. Es ist fast jedes Jahr das gleiche Bild. Frust? Rosentreter schüttelt den Kopf. "Wir sind Polizisten und damit vertraut."
Vor dem Backsteinbau bauen Anwälte später einen Klapptisch auf. Sie beschweren sich, dass sie keinen Kontakt zu ihren Mandanten im Gebäude bekommen. Sie klagen über zu wenig Richter. Sie nennen die Zustände in den Zellen "menschenunwürdig". Die Polizei bleibt gelassen. Natürlich dürften Festgenommene ihre Anwälte anrufen, sagt Rosentreters Kollegin. Es könne nur manchmal eine Weile dauern - bei großem Andrang in der Kruppstraße.
Quelle: ntv.de, Ulrike von Leszczynski, dpa