Von der "Kursk" zum Feuerinferno Krisenmanagement auf Russisch
12.08.2010, 10:22 UhrDie Brände in Russland zeigen: Zehn Jahre nach dem Untergang der "Kursk" bleibt die Einstellung der Mächtigen zum Volk unverändert: Inszenierte Tatkraft ersetzt konkrete Hilfe.
Wenn ein Land nach wochenlanger Dürre von katastrophalen Bränden heimgesucht wird, Dutzende Menschen sterben, Tausende obdachlos werden, hunderttausende Hektar Land vernichtet sind, das Militär Atomanlagen räumt, Feuer die verseuchte Region um Tschernobyl erreicht und in der von giftigem Rauch heimgesuchten Hauptstadt Millionen Menschen eine Ahnung bekommen, wie die Apokalypse aussehen könnte, dann sollte jemand versuchen, das Schlimmste zu verhindern und die Lage unter Kontrolle zu bringen.
Auch in Russland ist das eigentlich Aufgabe der Staatsführung. Doch weder Präsident Dmitri Medwedew noch Premierminister Wladimir Putin zeichnen sich durch angemessenes Krisenmanagement aus. Von Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow ganz zu schweigen.
Erinnerungen an die "Kursk"
Manche Dinge ändern sich wohl nicht. Auf den Tag genau vor zehn Jahren sinkt das russische U-Boot "Kursk", alle 118 Seeleute sterben. Die Marine erweist sich als unfähig, das Prunkstück der U-Boot-Flotte zu bergen - geschweige denn die Besatzung zu retten. Hilfe aus dem Ausland nimmt die Marineführung erst an, als es zu spät ist. Präsident Putin bricht seinen Urlaub erst nach einer Woche ab. Die Angehörigen der Besatzung werden über den Verlauf der Rettungsarbeiten nur schleppend und teilweise absichtlich falsch informiert.
23 Seeleute überleben die Explosion zunächst und rufen noch um Hilfe, als die Marine sie bereits für tot erklärt. Erst zwei Jahre nach dem Untergang gibt sie zu, dass ein eigener defekter Torpedo für die Explosion verantwortlich ist. Bis dahin beharrt die Marineführung auf der Version, die über 150 Meter lange "Kursk" sei nach einer Kollision mit einem U-Boot der Nato gesunken.
Zehn Jahre nach dem Untergang der "Kursk" wird Russland von verheerenden Bränden heimgesucht. Und der Blick zurück zeigt zahlreiche Parallelen: Behörden und Verantwortliche versagen, das Löschen kommt nicht voran, die Bevölkerung wird beschwichtigt und falsch informiert, Verantwortung übernimmt keiner, lediglich ein paar Offiziere werden entlassen.
Kollektive Gleichmut
Als die Feuer ausbrechen, entdeckten Feuerwehrleute, dass viele der Wege in den Wäldern in so schlechtem Zustand sind, dass die Fahrzeuge nicht durchkommen. Löschteiche enthalten kein Wasser, sondern Matsch. Viele machen eine Reform aus dem Jahre 2006 verantwortlich: Holzkonzerne dürfen den Brandschutz an Subunternehmer übertragen. Das machen sie auch fleißig. Das Resultat: Die beauftragten Firmen sind kaum vorbereitet und schlecht ausgerüstet.
Und in Moskau? Die Stadt ist tagelang von giftigem Rauch eingehüllt. Viele der 10,6 Millionen Menschen in der größten Stadt Europas finden kaum noch Luft zum Atmen - und das bei der stärksten Gluthitze, die die Stadt seit mehr als 140 Jahren heimsucht. Die Metropole versinkt in einem düsteren Nebel, der so brenzlig riecht, dass vielen übel wird. Der brandige Dunst von den Torfbränden des Umlands beißt in den Augen, trocknet den Rachen und reizt die Schleimhäute in der Nase. Die Todesrate in Moskau steigt allein im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um 50 Prozent auf mehr als 14.000 Menschen.
Was Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow lange nicht davon abhält, seinen Urlaub zu genießen. Erst als die Proteste immer heftiger werden, entschließt er sich, in die Hauptstadt zurückzukehren. Die Begründung für sein Fernbleiben: Schuld am Smog seien ja die Wald- und Torfbrände in der Umgebung. "Das sind nicht nur Folgen von Naturkapriolen, sondern auch von der Verantwortungslosigkeit der Beamten der Regionen", sagte Luschkow. Auf den Gedanken, dass in Moskau Organisationsbedarf besteht, kommt der Bürgermeister nicht.
Auf nach Abchasien
Wer Medwedew, Putin oder Luschkow nun vorwirft, sie seien Versager, die es nicht besser können, der irrt. So bitter es auch ist: die Probleme der Bevölkerung sind ihnen schlicht ziemlich egal.
Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Geisteshaltung der politischen Führung lieferte Medwedew am vergangenen Wochenende: Er reiste zum zweiten Jahrestag des Krieges gegen Georgien in dessen abtrünnige Region Abchasien. Dort rechtfertigte er den Krieg, traf den Rebellenchef und unternahm mit ihm einen Bootsausflug. So sehen also die Prioritäten der russischen Staatsführung aus. Die Schwächung Georgiens ist ihr aufrichtig wichtiger.
Die Zustimmung für Medwedew und Putin sinkt zwar auf ein historisches Tief, doch in einer "gelenkten Demokratie" ist das für die beiden kein Grund zur Sorge. Putin wird zwar bei einem Besuch in Nischni Nowgorod von verzweifelten Frauen beschimpft, doch diese Bilder tauchen im Staatsfernsehen natürlich nicht auf. Statt dessen sieht der Zuschauer, wie sich Putin im Kampf gegen das flammende Inferno als oberster Brandmeister mit einem Einsatz in einem schweren Löschflugzeug in Szene setzt. Als Co-Pilot eines Wasserflugzeugs wirft er nach einer kurzen Einführung in die Technik zielgenau die Wasserladung ab. Dieses Bild soll in Erinnerung bleiben.
Liberalismus als Schimpfwort
Und was interessieren die Umfragewerte von Medwedew? Aller Wahrscheinlichkeit nach will sich Putin 2012 wieder zum Präsidenten wählen lassen. Je unbeliebter Medwedew ist, desto strahlender wirkt Putin. Der ehemalige Geheimdienstchef hat es bislang immer geschafft, seinen Gegnern die Schuld an den immensen Problemen des Landes zu geben. Mal zeigt er auf die Oligarchen, um sie für Arbeitslosigkeit, steigende Preise oder Korruption verantwortlich zu machen, mal zeigt er auf Provinzfürsten.

Die Zustimmung für Putin sinkt zwar auf ein historisches Tief, doch das wird sich wieder ändern.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Als nächstes könnte Medwedew dran sein. Nicht weil Putin persönlich etwas gegen seine Kreatur hätte, im Gegenteil. Es geht um das, für das Medwedew steht. Der Präsident soll der Autokratie den Anstrich von schrittweiser Liberalisierung und Modernisierung geben. Diese ungeliebten Begriffe kann Putin nun problemlos mit dem vielfachen Versagen bei der Brandbekämpfung in Verbindung bringen.
Währenddessen lodern die Brände weiter, Feuer erreicht die Region um Tschernobyl und nicht nur in Moskau leiden Menschen. Doch was geht das Putin an?
Während seiner achtjährigen Präsidentschaft war er in Russland außerordentlich populär, auch wenn das in Deutschland erstaunlich erscheinen mag. Ihm fiel es leicht, den Staat Schritt für Schritt in seinem Sinne umzuformen, ein autokratisches Regime mit einer starken Zentralmacht und einem allmächtigen Geheimdienst zu schaffen. Eine nennenswerte Opposition gibt es nicht.
Doch nicht nur Strukturen und Symbole der Sowjetunion haben eine Wiederauferstehung erlebt, auch der Umgang der Mächtigen mit der Bevölkerung ist sehr ähnlich. Das hat schon die "Kursk" gezeigt. Der Turm des geborgenen U-Boots sollte ursprünglich nahe einer Kirche in Murmansk aufgestellt werden, um als Teil eines Mahnmals die Erinnerung an die Tragödie wachzuhalten. Doch aus dieser Ankündigung wurde nichts: Das Wrackteil ging verloren und wurde erst im vergangenen Jahr zufällig wiederentdeckt – auf einem Schrottplatz.
Quelle: ntv.de