Dossier

Umstrittene Charta der Vertriebenen Nazi-Gräuel werden ausgeblendet

Erst zettelte Deutschland den Zweiten Weltkrieg an - ...

Erst zettelte Deutschland den Zweiten Weltkrieg an - ...

(Foto: picture-alliance / dpa)

Der Bund der Vertriebenen feiert: Vor genau 60 Jahren wurde die Charta der Vertriebenen verabschiedet. Doch diese ist höchst umstritten - viele fordern nun eine Aktualisierung.

60 Jahre ist es her, dass die "deutschen Heimatvertriebenen" in Stuttgart ihre Charta verkündeten. Das will der Bund der Vertriebenen (BdV) mit einer Feierstunde würdigen, doch ungetrübte Feierlaune gibt es dabei nicht. Denn noch immer tobt der Streit um die Besetzung des Rates der Vertreibungsstiftung: Dem Gremium wird BdV-Präsidentin zwar nicht angehören, aber dafür stehen jetzt andere BdV-Vertreter in der Kritik. Und auch die Charta selbst ist Gegenstand hitziger Kontroversen.

... dann kam die Vertreibung. Diese Kausalkette blendet der Bund der Vertriebenen öfter aus.

... dann kam die Vertreibung. Diese Kausalkette blendet der Bund der Vertriebenen öfter aus.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Die Charta legte den Grundstein für die Integration der insgesamt knapp 14 Millionen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten fliehen mussten. Die Lasten des Krieges müssten gerecht verteilt werden, heißt es in dem Text, der am 5. August 1950 unterzeichnet und tags darauf bei einer Kundgebung in Stuttgart verkündet wurde. Zugleich versprachen die Heimatvertrieben, auf Rache und Vergeltung zu verzichten.

"Kontextloses Opfergedenken"

Kritiker monieren, dass sich in dem Text kein Verweis auf die die Gräueltaten des NS-Regimes und den von den Nazis begonnen findet. Vielsagend ist in der Charta mit Blick auf die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts lediglich vom "unendlichen Leid" die Rede, "welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat". Der Schriftsteller Ralph Giordano analysiert heute, die Charta blende das NS-Regime vollkommen aus. "Die Lektüre der Charta vermittelt den Eindruck, als habe die Vertreibung in einem historischen Vakuum stattgefunden", schrieb der Publizist in einem Beitrag für die Zeitschrift "Cicero". "Dieses kontextlose Opferdenken ist fehl am Platze", findet auch Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck.

Giordano, der einst Steinbach mit ihrem eigenen Projekt eines "Zentrums gegen Vertreibungen" unterstützt hatte, fordert nun eine "Aktualisierung" der Charta. Dazu wird es wohl nicht kommen. Denn Steinbach ist der Auffassung, dass die Charta gerade wegen der Absage an Rache und Vergeltung den Vorwurf des Revanchismus widerlege.

Steinbach verzichtet auf ihren Sitz im Stiftungsbeirat, konnte dafür jedoch erhebliche Zugeständnisse erreichen.

Steinbach verzichtet auf ihren Sitz im Stiftungsbeirat, konnte dafür jedoch erhebliche Zugeständnisse erreichen.

(Foto: APN)

So wird sich die streitbare Vertriebenen-Präsidentin von den Lobeshymnen auf die 60 Jahre alte Charta kaum abbringen lassen - schließlich eilt Steinbach nicht gerade der Ruf voraus, schnell klein beizugeben. Im Streit um die Besetzung der des Bundes verzichtete sie erst nach monatelangem Streit auf einen eigenen Sitz. Insbesondere Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte sich wegen der in Polen gehegten Bedenken gegen Steinbach gegen die Berufung der Vertriebenen-Präsidentin gestellt.

Vorwurf des Revanchismus

Das Personaltableau, das Steinbach als Alternative durchgesetzt hat, sorgt inzwischen für neuen Ärger. Denn zwei als stellvertretende Mitglieder in den Stiftungsrat gewählten BdV-Vertretern wird aus den Reihen der Opposition Revanchismus vorgeworfen. Das BdV-Präsidiumsmitglied Hartmut Saenger hatte in einem Beitrag für die "Preußische Allgemeine Zeitung" anderen europäischen Ländern eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegeben. "Besonders kriegerisch führte sich Polen auf", schrieb der Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft.

Der ebenfalls als Stellvertreter in den Stiftungsrat entsandte CDU-Politiker Arnold Tölg vertrat die Ansicht, der Zweite Weltkrieg habe Ländern die Chance gegeben, ihr bereits seit 1848 verfolgtes Ziel zu verwirklichen, die Deutschen auf ihrem Gebiet "loszuwerden". Die Äußerungen der beiden Vertriebenen-Funktionäre sorgten unter anderem bei der SPD für Empörung - an der im Juli durch den Bundestag beschlossenen Entsendung der beiden in den ändert das aber nichts.

Quelle: ntv.de, AFP

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