Dossier

Sven Giegold bei n-tv.de "Noch lange nicht am Ende"

Der Grünen-Politiker Sven Giegold hat das Konjunkturprogramm der Bundesregierung als "zukunftsblind" kritisiert. Mit Blick auf die aktuelle Finanzkrise zeigte er sich "extrem beunruhigt". Die Verluste der Banken seien sehr viel größer als allgemein bekannt. "Wir haben es bei den großen Privatbanken inzwischen mit Scheintoten zu tun", so Giegold gegenüber n-tv.de.

n-tv.de: Was halten Sie vom zweiten Konjunkturpaket der Bundesregierung?

Sven Giegold: Wenig. Ein Drittel des Geldes wird für steuerliche Entlastungen der oberen Hälfte der Bevölkerung ausgegeben. Das macht keinen Sinn, weder bringt es etwas für die Konjunktur noch zur Förderung sozialer Gerechtigkeit. Und die Investitionen, die die Konjunktur wirklich ankurbeln könnten, sind viel zu begrenzt.

17,3 von den 50 Milliarden in diesem und im nächsten Jahr.

Das ist viel zu wenig und auf einen zu langen Zeitraum gestreckt. Wir brauchen jetzt einen stärkeren konjunkturellen Impuls; dazu einen, der nicht so zukunftsblind ist wie das Programm der Bundesregierung. Wir brauchen nicht neue Straßen, sondern mehr Geld in der Bildung, in der Energieeffizienz und in erneuerbaren Energien.

Wo genau sollte das Geld hingehen?

Der Schwerpunkt muss auf Bildung und Klimaschutz liegen. Der Staat sollte dafür sorgen, dass die Energiekonzerne schnellstmöglich ihre Stromnetze abgeben, damit dann in Netze investiert wird, die den Strom aus erneuerbaren Energien auch zu den Verbrauchern bringen. Außerdem müssen Hartz IV und die Grundsicherung erhöht werden. Erstens ist das ohnehin rechtlich geboten, und zweitens ist es im Gegensatz zu den Steuersenkungen konjunkturwirksam - einfach weil Hartz-IV-Empfänger nicht sparen können. Was mir zudem Sorgen macht ist, dass die Finanzkrise den Ausbau der Offshore-Windparks hemmt. Die brauchen wir aber dringend für die Konjunktur und um Atom- und Kohlekraft zu ersetzen. Hier muss der Staat stabilisierend eingreifen.

Auch wenn Sie das Geld in erneuerbare Energien stecken, sitzen Sie am Ende auf einem großen Schuldenberg.

Der Unterschied ist, dass Sie in diesem Fall etwas geschaffen haben, was uns weiterbringt, was uns unabhängig macht von langfristig steigenden Öl- und Gaspreisen. Dagegen wird der Straßenbau uns kaum voranbringen, schon weil es diese große Zahl an Autos auf lange Sicht nicht geben wird.

Ist die starke Verschuldung nicht doch ein Problem?

Wenn der Staat jetzt nicht investiert, wird die Folge eine noch tiefere Wirtschaftskrise mit noch höheren Schulden sein; das haben wir durch die falsche Sparpolitik von Hans Eichel vor Augen geführt bekommen. Das ändert natürlich nichts daran, dass es fatal ist, wie hohe Schulden der Staat in den vergangenen 30 Jahren aufgebaut hat. Dass die Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen wird, halte ich deshalb auch für richtig. Allerdings muss das so gemacht werden, dass die Staatsausgaben weiterhin mit der Konjunktur atmen. Anderenfalls kostet es Arbeitsplätze.

Wie können diese Schulden überhaupt jemals zurückgezahlt werden?

Andere Staaten haben wesentlich höhere Schulden zurückgezahlt, denken Sie an Schweden, deren Pro-Kopf-Verschuldung noch in den 90er Jahren viel höher war als heute bei uns. Auf Dauer werden Schulden durch wirtschaftliches Wachstum einerseits und Inflation andererseits entwertet. Trotzdem wird die Rückzahlung eine schwere Hypothek für zukünftige Generationen.

Aber wirtschaftliches Wachstum ist doch etwas, dass Sie kritisch sehen.

Nicht per se; kritisch sehe ich das Wachstum von Naturverbrauch und Ressourcenverbrauch.

Das gehört zum klassischen Wachstum dazu.

Zum klassischen Wachstum, ja. Die große wirtschaftspolitische Frage ist jetzt: Woher kommt ein neuer wirtschaftlicher Impuls, mit dem wir verhindern, dass es zu Massenarbeitslosigkeit kommt. Unsere Meinung ist: Wir brauchen einen Grünen New Deal - einen Aufbruch für neue wirtschaftliche Dynamik durch massive Investitionen in Bildung, Energieeffizienz, Ressourcenschonung und erneuerbare Energie. Also eine Wirtschaft, die nicht mehr auf Kosten der Entwicklungsländer und der Umwelt geht. Damit hätten wir Wachstum, insbesondere auch Wachstum an Beschäftigung, aber gleichzeitig rasant sinkenden Natur- und Ressourcenverbrauch.

Als wir im vergangenen Oktober mit Ihnen über die Finanz- und Wirtschaftskrise sprachen, ging es in der öffentlichen Debatte vor allem um die Fehler des Systems. Heute sprechen wir fast nur noch über Konjunkturpakete. Würden Sie sagen, dass die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft aus der Krise gelernt haben?

Nach wie vor stellen sich große Systemfragen. Die Verantwortlichen haben noch nicht gelernt, dass es nicht darum gehen kann, ein Wirtschafts- und Konsummodell zu subventionieren, das auf Dauer nicht tragfähig ist - siehe Klimawandel, siehe begrenzte natürliche Ressourcen, siehe die steigenden Preise für Nahrungsmittel und Öl im vergangenen Jahr. Die Leute an den zentralen Stellen in Wissenschaft, Finanzwirtschaft und Politik sind gegenüber Regulierung nach wie vor sehr skeptisch. Ich höre ständig die Warnrufe: "Jetzt bloß nicht zu viel regulieren!" Herr Westerwelle und Teile der CDU sind sogar dagegen, eine wertlose Bank zu verstaatlichen, deren Eigentümer den Staat erpressen - die Hypo Real Estate. Es sind nach wie vor die Neoliberalen, die die Wirtschaftspolitik prägen.

Von den Wirtschaftswissenschaftlern kommen die unterschiedlichsten Prognosen, ...

Das ist typisch für uns Wirtschaftswissenschaftler.

... Bert Rürup meint, im zweiten Halbjahr werden wir wieder Wachstum sehen, Hans-Werner Sinn glaubt, wir haben das Schlimmste erst noch vor uns. Wie ist Ihre Prognose?

Nach meiner Meinung sind die Zahlen so eindeutig, dass klar ist, dass Rürup Unrecht hat, genauso wie unser neuer Wirtschaftsminister, der ja auch gleich nach Amtsantritt verkündet hat, dass es im zweiten Halbjahr wieder aufwärts gehe. Woher er diese Weisheit hat, würde ich gern mal wissen. Das zeigt eigentlich nur, dass er für sein Amt nicht geeignet ist. Wie lange die Krise dauert und wie tief sie sein wird, weiß im Moment keiner. Ich bin auf der Basis der veröffentlichten Daten aber extrem beunruhigt.

Welche Daten meinen Sie?

Die Verluste der Banken sind sehr viel größer als das bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Wir haben es bei den großen Privatbanken inzwischen mit Scheintoten zu tun. Ich glaube, wir sind noch lange nicht am Ende der notwendigen Einschnitte und Maßnahmen. Die spannende Frage der nächsten Monate wird sein: Wie lange geht das Siechtum der großen Privatbanken noch?

Und, wie lange?

Das weiß ich auch nicht, das müssen Sie Herrn Ackermann fragen, nur wird der Ihnen nicht die Wahrheit sagen. Das hängt auch davon ab, wie sich die Kreditnehmer der Banken entwickeln. Ich sehe im Moment nur, dass eine Firma nach der anderen wackelt. Das wird für die Bilanzen der Banken schwerwiegende Folgen haben.

Dass der Staat den Banken Geld zur Verfügung stellt, halten Sie aber für richtig.

Man kann nicht zusehen, wie in den 1930er Jahren, als das Geldsystem kollabierte. Diesen Fehler der Tatenlosigkeit hat die Welt einmal gemacht, den darf man auf keinen Fall wiederholen. Nur: Wenn der Staat den Banken hilft, dann müssen zunächst die Aktionäre haften und erst dann die Öffentlichkeit. Was nicht geht, ist die Subventionierung der Aktionäre, wie das etwa bei der Commerzbank geschehen ist: Da wurden ja faktisch die Lasten der Allianz beim Verkauf der Dresdner Bank an die Commerzbank teilweise sozialisiert.

Zur strategischen Seite der Debatte: Die Grünen haben zunächst erklärt, sie würden dem Konjunkturpaket II via Hamburg und Bremen im Bundesrat zustimmen, haben dies dann aber wieder zurückgezogen. Da fehlt doch die rote Linie.

Die Linie war die ganze Zeit klar: Wir lehnen dieses Konjunkturprogramm ab. Durch das Nein im Bundestag ist das sehr deutlich geworden. Im Bundesrat stellt sich eine andere Frage, dort ist die Große Koalition auf die Stimmen einiger Länder angewiesen, in denen die Opposition mitregiert. Wir haben versucht, ökologische Nachbesserungen zu erreichen. Das scheint die Bundesregierung nicht machen zu wollen. Stattdessen stimmt jetzt die FDP ohne Gegenleistung zu. Nichts anderes habe ich von dieser Partei der Rücksichtslosigkeit erwartet.

Quelle: ntv.de, Mit Sven Giegold sprach Hubertus Volmer

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