Furcht vor dem Zorn der Wähler Obamas Zugpferde schmeißen hin
05.03.2010, 10:13 Uhr
Evan Bayh galt als hochbegabt, doch er kehrt dem Senat den Rücken.
(Foto: AP)
Die US-Demokraten steuern auf eine Niederlage bei der Senatswahl im Herbst zu. Viele Kandidaten gehen auf Distanz zu Obama, andere treten gar nicht erst an.
Evan Bayh zählte zu den stillen Stars im US-Kongress. Der demokratische Senator aus Indiana war als Stimme der Vernunft geschätzt, und er galt als Mann mit großer politischer Zukunft. Umso größer war der Schreck seiner Parteifreunde, als Bayh im vergangenen Monat hinwarf. Angewidert von "hirntoter Ideologie und parteipolitischem Gezänk" in Washington verzichtete der Demokrat auf eine neue Kandidatur bei der Kongresswahl im November. Demoskopen prophezeien den Demokraten eine krachende Niederlage, der Partei von Präsident Barack Obama laufen die Kandidaten davon.
Obamas Zugkraft in den eigenen Reihen scheint in dem Maße zu schwinden, wie seine Popularität im Wahlvolk in den Keller geht. Der Präsident hatte noch versucht, Bayh umzustimmen. Doch der Senator blieb hart, seinen Abschied verband er mit einer öffentlichen Generalabrechnung an der ergebnislosen Streitkultur in Washington, die Obamas Agenda blockiert. Auch die mächtigen demokratischen Senatoren Chris Dodd und Byron Dorgan verzichteten auf neue Kandidaturen, ebenso eine Reihe von Mitgliedern im Repräsentantenhaus. Sie fürchten offenkundig den Zorn der Wähler.
"Demokraten befinden sich im freien Fall"
Für Obamas Demokraten heißt das nichts Gutes. Der Washingtoner Wahlforscher Charlie Cook analysiert: "Die Demokraten befinden sich seit Sommer im freien Fall." Sollte die Stimmung bis zum Herbst nicht umschlagen, könnten sie die Mehrheit in einer oder gar beiden Kongresskammern verlieren. Für Obama würde das Regieren dadurch noch schwieriger.
Die Aufbruchsstimmung aus Obamas Wahlkampf ist einer tief sitzenden Unzufriedenheit der Wähler gewichen, die sich in pauschaler Wut gegen die Politik in Washington äußert. "Es herrscht ein allgemeiner Zorn auf Amtsinhaber", sagt Politikprofessor Bruce Buchanan von der University of Texas. "Ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der dieses Gefühl so weit verbreitet war wie jetzt." Da die Demokraten derzeit nach mehreren erfolgreichen Wahlen besonders viele Amtsinhaber stellen, trifft sie der Frust besonders.
Demokraten distanzieren sich von Obama
Für die Kandidaten der Demokraten bedeutet das, dass sie sich am besten vom Washingtoner Politikbetrieb und ihrem obersten Repräsentanten Obama distanzieren. Für Obama bedeutet dies, dass die Zweifel an seiner Durchsetzungsfähigkeit weiter steigen könnten. Der demokratische Senatskandidat Richard Blumenthal bezeichnete es als "eine offene Frage", ob er Obama überhaupt zu einem Wahlkampfauftritt in den Staat Connecticut einladen werde. "Ich bin unabhängig von Washington", betont Blumenthal. Die demokratische Senatskandidatin Robin Carnahan in Missouri zeigte sich öffentlich "enttäuscht" über Obamas bisherige Ergebnisse.
Demoskopen zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen dem Abschneiden einer Partei bei den Kongresswahlen und der Popularität des von ihr gestellten Präsidenten. Liegt der Zustimmungswert für den Präsidenten unter 50 Prozent, so die Faustregel, drohen normalerweise schwere Niederlagen - wie den Republikanern von George W. Bush 2006 oder den Demokraten von Bill Clinton 1994. Obamas Wert liegt seit einigen Wochen unter 50 Prozent. "Eine Möglichkeit für den Präsidenten, diese Erosion zu stoppen, wäre, sich so populär wie möglich zu machen", rät Politikprofessor Buchanan.
Wahl zwischen zwei Übeln
Umso bedenklicher ist es für viele demokratische Kandidaten, dass Obama fest entschlossen ist, ein unpopuläres Großvorhaben - seine Gesundheitsreform - gegen massiven Widerstand durchzupeitschen. Den Abgeordneten bleibt nur die Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder, sie unterstützen Obamas Reform, oder sie entziehen ihm die Unterstützung und riskieren sein Scheitern. Beides dürfte sich bei der Wahl im November durch Verluste an Wählerstimmen rächen. Die gegnerischen Republikaner frohlocken. "Wenn die Demokraten dieses Gesetz durchpeitschen wollen, dann wäre das eine Kamikaze-Mission", sagte der republikanische Senator Lamar Alexander dem Sender ABC.
Quelle: ntv.de, Peter Wütherich, AFP