Rezessionsgefahr und Ratingdruck Britanniens Crux mit dem Sparen
21.03.2012, 14:02 Uhr
Brisanter Inhalt im Sparkoffer: Schatzkanzler George Osborne auf dem Weg zum Parlament.
(Foto: dpa)
Großbritannien kämpft gegen sein hohes Haushaltsdefizit an. Die Regierung setzt derzeit ein hartes Sparprogramm durch. Dieses droht allerdings die Konjunktur abzuwürgen. Premier Cameron und sein Schatzkanzler Osborne sitzen zwischen den Stühlen, denn die Etatlage lässt ihnen keinen großen Spielraum.
Wenn es in den Nachrichten um die extreme Verschuldung von Staaten geht, fällt das Wort "Teufelskreis". In der Volkswirtschaftslehre werden damit Deflation, Schuldenfalle und Armutsspirale in Verbindung gebracht. Bei einem Teufelskreis verschlechtert sich laut Definition der Zustand eines Systems, indem sich mehrere Faktoren gegenseitig verstärken. Beim ersten Lesen erscheint diese Beschreibung sehr abstrakt. Doch bei genauerer Betrachtung der ökonomischen und haushaltspolitischen Lage einzelner Länder wird sie schlüssig.
So behindert die extreme Verschuldung die Handlungsfähigkeit vieler europäischer Staaten. In der Eurozone müssen Griechenland, Portugal, Spanien, Belgien und auch Frankreich harte Sparauflagen erfüllen. Diese notwendigen Maßnahmen sind mit einem Absinken des Lebensniveaus der Menschen verbunden. Der Staat gibt weniger Geld aus - das hat natürlich Auswirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Gefüge des jeweiligen Landes.
Mit dieser Situation sieht sich auch das nicht zur Währungsunion gehörende konfrontiert. Um seinen Haushalt wieder in den Griff zu bekommen, muss das von der Finanzkrise arg gebeutelte Vereinigte Königreich kräftig sparen. Rund 85 Milliarden Pfund sind es bis 2015 - ein Volumen, das sogar die von 1979 bis 1990 amtierende "eiserne Lady" Margaret Thatcher bleich werden lässt. Die konservativ-liberale Koalitionsregierung von Premierminister David Cameron zieht diesen Kurs knallhart durch. Sie hat wohl auch keine andere Wahl, denn das Haushaltsdefizit, das bei Amtsantritt der neuen Regierung fast zwölf Prozent betrug, muss drastisch heruntergefahren werden. Es soll bis 2014/2015 vier Prozent betragen - ein äußerst ehrgeiziges Unternehmen.
"Ich fürchte, es ist kein Geld mehr übrig. Freundliche Grüße und viel Glück", stand in einem Brief, den Schatzkanzler George Osborne auf seinem Schreibtisch vorfand. Sein Amtsvorgänger von der Labour Party, Alistair Darling, hatte diesen von seinem Staatssekretär verfassen lassen. Osborne war alles andere als überrascht, denn der im Mai 2010 abgewählte Premier Gordon Brown hatte die dramatische Haushaltslage bereits angedeutet. Der Schuldenberg Großbritanniens summierte sich Ende des vergangenen Jahres auf 1,31 Billionen Pfund. Das sind fast 84 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Der Rotstift regiert
Und Osborne schreitet zur Tat: Die Ressorts müssen im Durchschnitt 20 Prozent einsparen - einige mehr, andere weniger. Besonders trifft es den Bereich Kultur und Sport mit mehr als 60 Prozent. Der Rotstift ist auch bei Polizei und Justiz sehr präsent - so werden sogar Polizeistationen privatisiert. Auch die Queen bleibt von der Sparorgie nicht verschont - der Palast muss mit deutlich weniger Geld auskommen. Ganz hart trifft es den öffentlichen Dienst: Hunderttausende verlieren ihren Job. Zudem werden die Sozialausgaben drastisch gekürzt. Die Latte für die Genehmigung von staatlichem Wohngeld wird deutlich höher gehängt - dadurch können sich viele Menschen eine Wohnung in bestimmten Gegenden von Ballungsgebieten nicht mehr leisten. Arg geschröpft werden die Kommunen: So werden öffentliche Aufträge sehr rar – die Bauwirtschaft leidet bereits stark. Und die Neuverschuldung steigt weiter. Im Februar lieh sich die Regierung 15 Milliarden Pfund und damit fast 50 Prozent mehr als erwartet. Grund war ein Steuerrückgang von 2,7 Prozent.
Die Briten durchleben harte Zeiten und wehren sich. Studenten machen gegen die Erhöhung der Studiengebühren mobil. Sie starten nach ihrem Studium mit einem riesigen Schuldenberg ins Berufsleben - wenn sie überhaupt einen Job bekommen. Die Gewerkschaften - ihre Macht wurde in der Thatcher-Ära beschnitten - mobilisieren immer mehr Menschen.
Die Politik des rigiden Sparens hat - und damit wären wir beim Teufelskreis - einen negativen Effekt auf die Realwirtschaft und das Konsumverhalten der Briten. So prognostizierten Experten des National Institute of Economic and Social Research (NIESR) ein Abgleiten des Vereinigten Königreichs in einen anhaltenden Abschwung. Sie forderten die Regierung Cameron auf, kurzzeitig Steuern zu senken oder die Ausgaben zu erhöhen. Im vierten Quartal 2011 schrumpfte die die britische Wirtschaft um 0,2 Prozent. Damit einher geht . Im Februar lebten 2,67 Millionen Menschen von der Arbeitslosenhilfe - die Quote betrug 8,4 Prozent. Das ist der höchste Stand seit November 2009. Mit solchen Zahlen wartete zuletzt 1994 die konservative Regierung von Premierminister John Major auf. Die Regierung ist allerdings der Meinung, dass Großbritannien einer Rezession entgehen könnte.
Der Spardruck wächst weiter. . UK droht von beiden der Entzug des Top-Ratings "AAA". Laut Fitch haben die Risiken der Eurozonen-Schuldenkrise für Großbritannien zwar abgenommen. Dennoch sei die Situation noch nicht völlig entschärft. Eine neue Eskalation der Krise würde die Sparfähigkeit der Regierung beeinträchtigen. Wie bereits gesagt: Es ist ein Teufelskreis.
Leichtes Drehen an Steuerschraube
Trotz demonstrierter Gelassenheit herrscht im Kabinett Cameron so auch eine gewisse Unruhe. Einerseits herrscht extremer Spardruck, andererseits muss die Konjunktur wieder in Schwung gebracht werden. Um dem liberalen Koalitionspartner entgegenzukommen, geht es dem Konservativen Osborne im neuen Haushalt um die gerechtere Verteilung der Lasten. So soll Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen geholfen werden. Der Herr der Kassen will den Freibetrag für Geringverdiener auf über 9000 Pfund anheben. Gleichzeitig wagt sich Osborne an den Spitzensteuersatz ran, den die Labour-Regierung auf 50 Prozent erhöht hatte. Dieser soll nun auf 45 Prozent sinken. Zweites ist ein für die Regierung ein gefährlicher, weil ein in breiten Schichten der Bevölkerung unpopulärer Schritt. Mit der Unternehmenssteuer soll es von 26 auf 24 Prozent runtergehen. Für 2014 sind sogar 22 Prozent geplant.
Gleichzeitig muss Cameron die Realwirtschaft, die durch die starke Hinwendung Großbritanniens zur Finanzbranche ein Schattendasein führt, stärken. Einem Bericht zufolge wird dabei an Infrastrukturprojekte gedacht. Allerdings sind dem Premier aufgrund der desolaten Haushaltslage die Hände gebunden. Wie zu Thatchers Zeiten, macht wieder das Wort Privatisierung die Runde. So soll Cameron angeregt haben, dass Privatinvestoren Teile des britischen Straßennetzes leasen könnten. Dies solle zum Beispiel über Staats- oder Pensionsfonds geschehen. Allerdings geht Cameron dabei nicht so weit wie seinerzeit Thatcher bei ihrer Privatisierungsorgie. Seiner Meinung nach sollen nur bei neuen Straßenkapazitäten Gebühren erhoben werden.
Die Regierung verfügt nur über einen sehr geringeren Handlungsspielraum und wird in der Not erfinderisch. Sie plant die Ausgabe von Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 100 Jahren. Großbritannien will dabei von den dauerhaft günstigen Zinssätzen profitieren. Es muss schließlich Geld in die Kasse - egal wie.
Quelle: ntv.de