Atomanlage statt Zement Schlagabtausch zwischen Syrien und Israel
18.09.2007, 17:44 Uhrvon Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der angebliche israelische Überflug oder Bombenangriff auf Syrien vor zwei Wochen sorgt weiterhin für Hochspannung in Nahost - und immer wildere Spekulationen. "Seit zwanzig Jahren hat das offizielle Israel nicht so geschwiegen, wie in diesem Fall", erzählt ein israelischer Abgeordneter. Doch auch Syrien schweigt, nachdem es mit einer unklaren, widersprüchlichen Erklärung gegen den "Überflug israelischer Kampfjets" protestiert hatte.
Ohne auf den Vorfall in Syrien einzugehen, behauptete der Chef der militärischen Aufklärung, General Amos Jadlin, dass die israelische Abschreckung seit dem Libanonkrieg "wiederhergestellt" worden sei. Regierungschef Ehud Olmert lobte die Armee für ihre "großartigen Leistungen", ebenfalls ohne Details auszusprechen. In amerikanischen und britischen Zeitungen wurden, unter Berufung auf informierte Kreise, immer mehr angebliche Einzelheiten über Verlauf und Ziel der israelischen Geheimoperation veröffentlicht. Ein von den Syrern erwähntes "großes Loch" in der Wüste sei in Wirklichkeit eine von Nordkorea angelieferte Anlage zur Anreicherung von Uran, heißt es da beispielsweise.
Die israelische Zeitung Haaretz will auf der Homepage des syrischen Hafens Tartus ein nordkoreanisches Schiff entdeckt haben, das Zement geladen hatte. Der 17.000 Tonnen Frachter habe in Tartus plötzlich die Flagge gewechselt zu einem Schiff "unbekannter Herkunft" und sei dann spurlos verschwunden. Der "Zement" sei in Wirklichkeit nordkoreanische Atomtechnologie im Wert von 50 Millionen Dollar gewesen. Der geheimnisvolle Flaggenwechsel dient schon als Erklärung für den lauten Protest ausgerechnet Nordkoreas gegen die israelische Verletzung des syrischen Luftraums.
Auch über den Verlauf der Aktion werden täglich neue "Tatsachen" bekannt. Während es ursprünglich nur zwei Kampfflugzeuge waren, die Syrien zu einer Spionagemission überflogen und von der Flugabwehr "abgedrängt" worden seien, ist inzwischen schon die Rede von der Landung eines israelischen Kommandos, um militärische Ziele zu markieren. Acht israelische Kampfjets hätten diese Ziele dann mit bunkerbrechenden Bomben angegriffen und zerstört.
Da Israel sich ausschweigt und die Syrer offenbar auch etwas zu verbergen haben, weshalb sie weder Photos von dem "Loch in der Wüste" noch andere "Beweise" veröffentlichen, können alle Pressemeldungen zu dem Vorfall nur ohne Gewähr genossen werden. Denn auch andere Regierungen, die es besser wissen müssten, schließen sich dem Schweigen an. So hätten die Türken auf ihren Radarschirmen verdächtige Luftbewegung sehen müssen. Amerikanischen Satelliten und Awacs dürfte nicht entgangen sein, wenn sich eine mutmaßliche Nuklear-Anlage in ein Loch verwandelt.
"Syrien behält sich eine Reaktion vor", hieß es in Damaskus. Im Diplomatenslang bedeute dieser Satz, dass Syrien keinen Militärschlag gegen Israel plane, behauptet ein israelischer Experte. Dennoch wurden die Sicherheitsleute auf israelischen Kreuzschiffen vor der türkischen Küste verstärkt. Hunderte Israelis buchen auf ihnen Urlaubtrips während der jüdischen Feiertage in diesem Monat. Mit Sprengstoff beladene Boote könnten die Kreuzschiffe rammen und versenken. Doch die israelische Zentrale für Terrorbekämpfung winkt ab: "Es liegen keine konkreten Hinweise vor." Israelische Urlauber bräuchten sich keine ungewöhnlichen Sorgen zu machen, zumal die Kreuzschiffe ohnehin ein "attraktives Ziel" für El Kaeda seien.
Weder Syrien noch Israel dürften an Eskalation und frontalem Krieg interessiert sein. Deshalb tut das offizielle Israel, als sei nichts gewesen, während Damaskus den Protesten keine Beweise beifügt. Gleichwohl könnte Syrien die Hamas, Hisbollah oder auch den Dschihad Islami zu größeren Anschlägen gegen Israelis animieren, ohne dafür verantwortlich gemacht werden zu können.
Auf der internationalen Bühne dürfte der Vorfall die Stimmung weiter kontaminieren. Der offenbar von westlichen Geheimdiensten gesteckte Verdacht des Transfers nordkoreanischer Atomtechnologie oder vielleicht gar einer fertigen Atombombe nach Syrien versetzt nicht nur Israel in Schrecken. Auch die Bemühungen um eine Entschärfung der Atomkrise mit Nordkorea bekämen eine neue Qualität. Ebenso wäre die Türkei unmittelbar bedroht, zumal es wegen Wasser und territorialen Streitigkeiten immer wieder zu Spannungen mit Syrien kommt. Die schon vor Jahren aus Nordkorea an Syrien gelieferten Scud-Raketen könnten mit einem Atomsprengkopf bestückt nicht nur jeden Punkt in Israel, sondern auch beim Nato-Partner Türkei und im Irak treffen. Anfang der Woche schürte zudem Iran den Konflikt, indem es Israel mit sechshundert bereit stehenden Raketen drohte, falls es zu einem erneuten "Angriff" auf Syrien oder Iran kommen sollte.
Quelle: ntv.de