Irak-Tagebuch (4) Zwischen Stillstand und Herzrasen
20.03.2008, 18:07 UhrAutofahren in Bagdad ist eine Herausforderung, die sich jeden Tag aufs Neue stellt. Denn es genügt nicht, die Straßen der Stadt zu kennen. Man muss auch genau wissen, welche Straßen wann offen sind. Und das ändert sich manchmal mehrmals am Tag. Dazu kommen Hunderte von Checkpoints. Alle paar Meter liegen schlafende Polizisten" auf der Straße - künstliche Bodenwellen, die oft so hoch sind, dass der ganze Unterboden aufsetzt.
Und - was gerade für uns viel schlimmer ist - nie lässt sich voraussagen, wie lange eine Fahrt dauern wird. Gestern fuhren wir beispielsweise in eine Gegend um das Palastine Hotel. Dieses Hotel erlangte im Krieg traurige Berühmtheit, weil die wenigen in der Stadt verbliebenen Journalisten von dort aus beobachteten, wie die Bomben auf Bagdad fielen. Traurig, weil bei einem Beschuss durch einen amerikanischen Panzer ein Kollege starb und mehrere verletzt wurden.
Das Hotel liegt direkt gegenüber der Grünen Zone auf der anderen Seite des Tigris. Eine Strecke von vielleicht einem Kilometer. Als wir am Nachmittag aufbrechen, brauchen wir etwa 35 Minuten. Ok, es war auch viel Verkehr, denken wir und rechnen mit einer ähnlichen Fahrtzeit für den Rückweg. Wir planen, wie lange wir bleiben können und rechnen 30 Minuten zusätzlichen Puffer mit ein. Dann erledigen wir unsere Arbeit. Doch auf dem Rückweg steigt der Puls von Minute zu Minute. Denn nach einer Viertelstunde haben wir gerade einmal 50 Meter geschafft und wir müssen zurück, um den Bericht für RTL Aktuell zu schneiden.
Polizisten haben die Straße gesperrt. Warum? Niemand weiß es. Ohne erkennbares System erlauben die irakischen Polizisten mal einem, mal drei Autos weiterzufahren. Sofort drängen gleich mehrere Fahrer in die freigewordenen Lücken. Selbst wenn wir wollten, könnten wir unsere Türen nur wenige Zentimeter öffnen. Aussteigen? Fehlanzeige! Es ist unglaublich, wie eng sich die Autos aneinander vorbeischieben. Hier der Anschlag eines Selbstmordattentäters und die Menschen würden in ihren Fahrzeugen verbrennen, eine Flucht wäre unmöglich. Nach einer halben Stunde treten die Polizisten plötzlich zur Seite, und der Verkehr rollt wieder. Mein Puls will sich gerade normalisieren, da stehen wir schon wieder. Erneut weiß niemand warum. Dann hören wir drei laute Explosionen.
Später erfahren wir: Sicherheitskräfte haben drei Sprengsätze an der Straße gefunden und kontrolliert zur Explosion gebracht. Als wir schließlich unser Haus in der Grünen Zone erreichen, haben wir noch genau zwei Stunden, um den Bericht für die Nachrichten zu produzieren. Kameramann Jean Claude drängt. Er muss die gleiche Strecke zurückfahren, denn im Hotel Palastine befindet sich auch der Überspielpunkt. Eine englische Firma hat hier Satellitenverbindungen aufgebaut. Jeder Fernsehsender kann dort gegen Geld die erstellten Berichte in alle Welt verschicken.
Viel Zeit zum Überlegen bleibt nun nicht. Jeder Handgriff muss sitzen. Während unser Cutter den Schnittcomputer vorbereitet und die Bilder aus der Kamera einlädt, fange ich mit dem Text an. Womit soll der Beitrag beginnen? Welche Bilder kommen rein? Was hat der junge Student im Interview gesagt?
Die Antworten darauf formen sich in meinem Kopf zu einem Beitrag. Während ich noch schreibe, schneidet Cutter Daniel die ersten Bilder. Viel Zeit zum Diskutieren bleibt nicht. Nach eineinhalb Stunden sind wir fertig. Jetzt noch den geschriebenen Text auf die Bilder sprechen, und alles abmischen.
Während Daniels Finger über die Tastatur des Schnittcomputers rasen und er die letzten Unsauberkeiten im Beitrag behebt, treffen unsere Sicherheitsleute ein. Sie spüren die Hektik, warten mit laufendem Motor und offenen Türen vor dem Haus. Der fertige Beitrag wird wieder auf eine Kassette überspielt und Jean Claude sprintet zum Auto.
Jetzt noch einmal so ein Stau wie am Nachmittag, und die ganze Arbeit des Tages wäre vergebens. Erst wenn der Beitrag sicher in Köln angekommen ist und in den Nachrichten erscheint, können wir uns zurücklehnen. Doch alles geht gut, Jean Claude ist rechtzeitig im Hotel, die Satellitenverbindung macht keine Zicken und auf dem Weg nach Köln gehen weder Bilder, noch der Ton verloren - was gerne schon mal passiert.
Als Jean Claude wieder zurück ist, gibt es Abendessen. Leider ist es kalt geworden. Denn irgendwann in der hektischen Schnittphase hat uns ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma, bei der wir wohnen, Gulasch mit Reis hingestellt. Doch das haben wir weder bemerkt, noch hätten wir vorher Zeit dafür gehabt.
Quelle: ntv.de