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Zwischenruf Afghanistan: Trümmer einer verfehlten Politik

Afghanische Sicherheitskräfte versuchen, den Kabuler Flughafen zu halten.

Afghanische Sicherheitskräfte versuchen, den Kabuler Flughafen zu halten.

(Foto: AP)

Der Überfall auf das Nato-Hauptquartier in Kabul beweist einmal mehr, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer weiter verschlechtert. Nach dem Rückzug der ausländischen Truppen droht das Chaos. Die Region bleibt auch künftig ein Unruheherd. Auch, weil dessen Hauptursache unverändert grassiert: die Armut.

Der Überfall der Taliban auf das Nato-Hauptquartier am Kabuler Flughafen ist eines der erschreckendsten Beweise für militärische Schlagkraft der Koranschüler. Wenn die Atlantische Allianz nicht einmal in der Lage ist, eine ihrer wichtigsten Einrichtungen am Hindukusch zu sichern, wer soll dann die Sicherheit im ganzen Land nach dem Rückzug der ausländischen Kampftruppen im nächsten Jahr gewährleisten? Die Lage ist so kompliziert, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem jüngsten Besuch in Afghanistan nicht einmal mehr mit Präsident Hamid Karsai zusammentraf, ja diesen dem Vernehmen nach nicht einmal über ihre Visite informierte. Selbst Bundesaußenminister Guido Westerwelle bezeichnete die Lage bei seinem eben zu Ende gegangenen Besuch als "unverändert sehr schwierig".

Die USA und ihre Verbündeten wissen, dass der Konflikt nicht mit militärischen Mitteln lösbar ist. In keinem der intervenierten Länder, angefangen in Somalia, hat der Truppeneinmarsch Frieden, Demokratie und Wohlstand gebracht. Das ist auch in Afghanistan nicht anders. Im Gegenteil. Es herrscht Krieg; Warlords, Drogenbarone und Mullahs bestimmen die Politik. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt geblieben, ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Allüberall herrscht Korruption. Ein Teil der zwischen 2001 und 2008 geflossen 15 Milliarden Euro Hilfsgelder versickert in dunklen Kanälen. Doch bis zu 40 Prozent davon wurden aber für Personal- und andere Kosten westlicher Firmen und Institutionen verwendet.

Und dann ist da noch Pakistan

Zweifellos gibt es auch Fortschritte. Trotz immer noch großer Ineffizienz wurde die medizinische Versorgung verbessert. Durften Mädchen unter den Steinzeitislamisten überhaupt nicht zur Schule gehen, drückt heute jedes dritte Mädchen die Schulbank. Präziser: Häufig nicht eine Bank, sondern den Sandboden. Denn viele Schulen sind erbärmlich ausgerüstet. Doch reichen die Fortschritte für eine positive Bilanz nicht aus. Und sie stehen in Frage, wenn die fremden Soldaten abziehen. Sollte sich die Sicherheitslage noch weiter verschlechtern, ist auch die Zukunft der zivilen Helfer ungewiss.

Um die afghanischen Hilfskräfte steht es jetzt schon nicht zum Guten. Im Falle der Bundeswehr geht es um rund 1.500 Menschen. Vielfach werden sie als "Verräter" gebrandmarkt und müssen jetzt schon um ihr Leben fürchten. Schutz oder gar die Einreise nach Deutschland zu bieten, ist Berlin künftig nicht in der Lage respektive bislang nicht gewillt.

Der Westen steht vor den Trümmern einer von Anfang an verfehlten Afghanistanpolitik. Und dann ist da immer noch Pakistan, von wo aus die Taliban mit Unterstützung des dortigen und des US-Geheimdienstes einst gegen Kabul vorrückten, und das heute zu deren Hauptrückzugsgebiet geworden ist. Die Region zwischen Hindukusch, Karakorum und Arabischem Meer bleibt ein Unruheherd, dessen Hauptursache die Armut ist. Und die kann durch keine Invasion beseitigt werden.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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