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Zwischenruf Das Internet frisst seine Kinder

Kollegen: Franco Frattini und Guido Westerwelle.

Kollegen: Franco Frattini und Guido Westerwelle.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Geheimdokumente sind unangenehm und sorgen für reichlich Diskussion. Aber es gibt objektive Interessenübereinstimmungen, an denen persönliche Animositäten nichts ändern, urteilt Manfred Bleskin.

Italiens Außenminister Franco Frattini hat Recht und auch wieder nicht: Die Enthüllungen sind „der 11. September für die weltweite Diplomatie“. Ob sie „alle vertraulichen Beziehungen zwischen den Staaten in die Luft jagen“, wie er weiter sagt, ist unwahrscheinlich. Schließlich sind keine Dokumente mit der höchsten Geheimhaltungsstufe „Top Secret“ veröffentlicht worden.

Gleichwohl ist der Schaden beträchtlich. Obzwar erst ein geringer Teil der insgesamt mehr als 250.000 Dokumente ins Netz gestellt worden ist, dürften die Forderungen des saudischen Königs Abdullah nach einem US-Angriff auf den Iran zu einer Verschlechterung der Beziehungen der beiden großen Rivalen im Mittleren Osten führen. Good-Will-Missionen aus Riad nach Teheran werden nunmehr unglaubwürdig. Voreilige Schlussfolgerungen, die Aktionen wären nur gegen die Vereinigten Staaten gerichtet, sind falsch. Der Bericht über die Lieferung von Mittelstreckenraketen durch Nordkorea an den Iran trifft eher die Machthaber in beiden Ländern. Zudem ist das Ganze nicht neu: Über Pjöngjangs Raketenlieferungen an Teheran berichteten Agenturen schon vor Monaten. Nun ist lediglich amtlich, dass dem tatsächlich auch so ist. Dies schadet aber den USA nicht, sondern stellt – aus deren Sicht – vielmehr eine Rechtfertigung der eigenen Politik dar.

Hie und da zu hörende Argumente, die Aussagen der Diplomaten entsprächen nicht der offiziellen Politik Washingtons, stimmen nur zum Teil. Wenn es beispielsweise heißt, der venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez müsse international isoliert werden, so ist dies durchaus die Linie des State Departement. Immer noch besser, als würde die Empfehlung wie dereinst lauten, abermals einen Staatsstreich zu unterstützen.

Niveau ist erschreckend

Erschreckend ist, auf welchem Niveau sind Manches bewegt. Wer, um einen Politiker wie Wladimir Putin einzuschätzen, auf den dümmlichen Begriff „Alpha-Rüde“ zurückgreift, dem muss man schon das Attribut „oberdoof“ zubilligen. Überhaupt: Es ist nichts Neues, wenn diplomatische Berichte kritischer ausfallen als die öffentlichen Auftritte eines Botschafters. Diplomatie hat schon immer von Geheimniskrämerei gelebt. Wer sich in Deutschland wie anderswo von den – zugegeben manchmal recht abfälligen – Bewertungen getroffen fühlt, ist selber Schuld. Wer nun posaunt, die Beziehungen zwischen Berlin und Washington würden schweren Schaden nehmen, der irrt. Selbst, wenn Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler künftig eine Privatklinik in Langley/Virginia leiten müsste. Es gibt objektive Interessenübereinstimmungen, an denen persönliche Animositäten nichts ändern.

Unterm Strich frisst die Internetrevolution ihre Kinder. Unbegrenzt wird man das Netz nicht nutzen können. Vielleicht ist es an der Zeit, sich wieder auf die Worte des Schülers im Studierzimmer des Doktor Fausten zu besinnen:

„Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.“

Und wenn man es dort gut verschließt und keiner einem den Schlüssel klaut, kann man einander getrost weiter ins Gesicht lügen.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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