Zwischenruf Der Stellvertreterkrieg
04.03.2009, 14:41 UhrErika Steinbach verzichtet auf einen Platz im Rat der Stiftung gegen Vertreibung. Vorläufig. Eile ist auch nicht geboten, denn eine Deadline gibt es nicht. Warum die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen unbedingt Mitglied des Gremiums werden sollte, ist unverständlich. Nach der Beilegung des prinzipiellen Streits mit der polnischen Regierung um die Einrichtung der Stiftung, war die die Rede von einer informellen Einigung, die CDU-Politikerin außen vor zu lassen.
Das Wörtchen "vorläufig" ist reine Rhetorik um das Gesicht zu wahren. Frau Steinbach wird es kaum noch einmal versuchen. Zu groß war der Knatsch, der zu einer offenen Konfrontation zwischen Warschau und Berlin geführt hatte. Die Union versucht nun, der SPD die Schuld am Rückzieher in die Schuhe zu schieben. Sicher, Außenminister und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat Frau Steinbach nicht gegen die Vorwürfe des Deutschland-Beauftragten der polnischen Regierung, Wladyslaw Bartoszewski, in Schutz genommen. Dessen Auslassung eine Berufung Steinbachs in den Stiftungsrat sei, "als ob der Vatikan den Holocaust-Leugner Bischof Williamson zum Bevollmächtigten für die Beziehungen zu Israel ernannt hätte", war völlig daneben. Da wäre ein Wort des Sozialdemokraten angebracht gewesen. Denn der industriell betriebene Massenmord der Nazis an den europäischen Juden ist beispiellos. Es ist erstaunlich, dass angeblich erfahrene Politiker immer wieder auf diesen widersinnigen Vergleich zurückgreifen.
Manch einer meint, Erika Steinbach hätte den Bund der Vertriebenen reformiert, liberaler gemacht. Doch wer sagt, die Vertriebenen hätten "Anrecht auf eine pflegliche Behandlung, wie alle anderen Opfer auch", der relativiert die Verantwortung Hitlerdeutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Nicht vergessen ist, dass Frau Steinbach im Bundestag nicht für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu Polen und den Beitritt Polens sowie Tschechiens zur EU gestimmt hat.
Gleichwohl ist sie nur ein Symbol. Im Streit um Erika Steinbach prallen ein wieder erstarkter polnischer Nationalismus und, frei nach Franz-Josef Strauß, deutscher Wirtschaftsriese, der kein politischer Zwerg mehr ist, aufeinander. Trotz zahlreicher Aussöhnungsgesten auf hoher und höchster Ebene ist da immer noch ein Rest an gegenseitigem Misstrauen, der auch durch die Mitgliedschaft beider Länder in NATO und EU nicht überwunden ist.
Hinzu kommt, dass zum politischen Selbstverständnis von Union, SPD und FDP das Engagement für die einstigen Bewohner von Ostpreußen usw. einschließlich deren Nachkommen gehört. In unserem östlichen Nachbarland definieren sich Rechte wie Linke auch über die deutsche Verantwortung für das polnische Leid in Zweiten Weltkrieg. Ohne dieses Gefühl zu mobilisieren, können die staatstragenden Parteien weder in Warschau noch in Berlin Urnengänge gewinnen. Die polnische Regierung feiert den Steinbachschen Rückzug als Erfolg der Intervention von Ministerpräsident Donald Tusk Ende Januar gegenüber Angela Merkel in Berlin. Dies dürfte dessen Position bei seinen Mitbürgern stärken. Wie sich der "Fall Steinbach" auf das Stimmverhalten der rund zwei Millionen Mitglieder des Bundes der Vertriebenen auswirkt, bleibt abzuwarten.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de