Zwischenruf Die Stunde der Wahrheit schlägt
04.02.2010, 11:48 UhrDie Vorlage von Schwarz-Gelb hätte nicht besser sein können. Doch die Opposition kommt nicht in Gang. Die SPD: ohne Elan. Die Linke: ein Trauerspiel. Die Grünen: beliebig geworden.

Verkäuferin Angela und Aushilfskraft Guido: 100 Tage Schwarz-Gelb.
(Foto: picture alliance / dpa)
Eigentlich hätte die Vorlage der Kleinen Koalition nicht besser sein können: Heillos untereinander zerstrittene Regierungsparteien, die zueinander passen wie zwei linke, oder bittschön: rechte Schuhe, welche Verkäuferin Angela und Aushilfskraft Guido nicht müde werden, als bestes Fußwerk auf dem Weg aus der Krise zu lichten Höhen anzupreisen.
Doch ihren Gegenspielern ist es nicht gelungen, Tritt zu fassen. Die SPD ist hin- und hergerissen zwischen Staatsräson und Widerspruchsgeist. Zwar hatte der Dresdner Parteitag Hoffnung auf einen kräftigen Gegenwind geweckt. Doch der in Sachsens Hauptstadt versprühte Elan verpufft, weil die Sozialdemokraten janusköpfig agieren: ein Parteivorsitzender, der quirlig mit immer wieder neuen Vorstößen an die Öffentlichkeit tritt, ihnen aber kaum praktische Schritte folgen lässt; ein Fraktionschef, der zu Zeiten von Schwarz-Rot als Strippenzieher im Kanzleramt jene Antipersonenminen gelegt hat, die seiner SPD beim Marsch aus der Ecke immer wieder unter den Sohlen explodieren. Der SPD wird ein Aufbruch erst dann gelingen, wenn sie sich glaubhaft von ihrer eigenen (jüngeren) Vergangenheit verabschiedet. Beispiel: Wie sauber hätte man einem Klientelpolitiker wie Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler Paroli bieten können, wäre da nicht das kompromissbehaftete Stückwerk einer Ulla Schmidt. Oder Hartz IV, Afghanistan, Jugoslawienkrieg.
Die Linke ist Hauptakteur in einem Trauerspiel, das sie selbst geschrieben hat. Der jüngsten deutschen Partei ist es wie der ältesten nicht gelungen, der Unsicherheit von Millionen in der Krise eine glaubhafte Alternative zu bieten. Beispiel: Statt gründlich der Frage ihres scheidenden Parteichefs nachzugehen, warum Menschen immer wieder Parteien wählen, die ihnen die Renten kürzen, zerfleischt sich die Linke im Streit über die Abschaffung des Kapitalismus - am besten vorgestern - oder eine schrittweise Verbesserung der Lebensverhältnisse der Lohnabhängigen.
Gegen alles
Die Grünen tun ganz einfach so, als wären sie schon immer gegen so ziemlich alles gewesen, wofür sie zu rot-grünen Zeiten munter mitbeschlossen respektive den Weg geebnet haben. Beispiel: der Afghanistan-Einsatz, den man mit fliegenden Fahnen befürwortet hat, nun aber am besten SPD und CDU/CSU in die Schuhe schieben möchte. Die einst sehr ideologische Partei ist beliebig geworden. Das macht die Wanderung unzufriedener Liberalwähler zum einstigen sozial-ökologischen Bannerträger der Republik erklärlich. Die Grünen fühlen sich wohl in der Rolle des möglichen Züngleins an der Waage. Das reicht zwar für ernsthafte Politikgestaltung nicht aus. Wird aber von Gewicht sein, wenn es 2013 darum geht, ob zu den zwei rechten Schuhen ein dritter hinzukommt oder ein linker Marsch das Tempo diktiert.
Spätestens hundert Tage vor den nächsten Bundestagswahlen schlägt für die Opposition die Stunde der Wahrheit. Wenn sie so weitermacht wie in den ersten hundert von Schwarz-Gelb, wird sie das bleiben, was sie ist. Opposition.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de