Kommentare

Zwischenruf Die weiteren Aussichten: Frostig

Die Hoffnung, die polnisch-russischen Beziehungen würden sich nach dem Absturz der Präsidentenmaschine bei Smolensk besser entwickeln, haben einen Dämpfer erhalten. Damit sind die Beziehungen zwischen Moskau und Warschau wieder da, wo sie eigentlich immer waren.

In Polen kursiert folgender - schlechter - Witz: Sagt Putin zu Medwedew: Muss noch rasch in Warschau anrufen und wegen des Flugzeugunglücks bei Smolensk kondolieren. Sagt Medwedew zu Putin: Wieso? Die Maschine ist doch noch gar nicht abgeflogen. Die makabre Geschichte kennzeichnet so etwas wie die Grundstimmung weiter Teile der polnischen Bevölkerung.

Auch in Russland ist der Abschlussbericht das große Thema.

Auch in Russland ist der Abschlussbericht das große Thema.

(Foto: dpa)

Nach der Veröffentlichung des russischen Berichts über die Katastrophe bewegen sich die Beziehungen zwischen Moskau und Warschau wieder da, wo sie eigentlich immer waren. Um den Gefrierpunkt herum. Trotz aller Beteuerungen und Gesten: Die beiden Nachbarländer standen seit den Zeiten der Kiewer Rus fast immer gegen-, bestenfalls nebeneinander. Ein Miteinander war die berühmte Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Dies gilt sogar für die Beziehungen zwischen der Volksrepublik und der Sowjetunion, wo von beiden Seiten stets Misstrauen mit im Spiel war. Die Beteiligung der Zaren an den polnischen Teilungen wirkt im Bewusstsein vieler Polen ebenso nach wie die Eroberungen des polnisch-litauischen Reichs in Richtung Osten bei den Russen. Der Hitler-Stalin-Pakt und das Massaker von Katyn haben sich tief in das polnische Selbstverständnis als Nation eingegraben.

Die Hoffnungen, die Beziehungen würden sich unter dem pragmatischen Präsidenten Bronis?aw Komorowski und Premierminister Donald Tusk auf der einen und Kremlchef Dimitri Medwedew auf der anderen Seite besser entwickeln, erhalten jetzt wieder einen spürbaren Dämpfer.

Tusk unterbrach seinen Skiurlaub in den Dolomiten; Kaczy?ski-Bruder und Oppositionsführer Jaros?aw spricht von einer "Verhöhnung Polens". Der einstige Ministerpräsident ist nachgerade besessen von der Idee, der Staatspräsident wäre einem Komplott des Kreml zu Opfer gefallen. Der Bericht der GUS-Luftfahrtbehörde MAK erscheint in seiner einseitigen Schuldzuweisung an die polnische Seite gleichwohl deplatziert. Undenkbar, dass die 20.000 Seiten öffentlich gemacht wurden, ohne dass Präsident und Regierungschef zuvor keine Kenntnis davon hatten.

Die Wahrheit liegt wohl, wie auch Polens Innenminister Jerzy Miller erklärt, in der Mitte. Es wird mehr solcher Stimmen brauchen, damit wieder Tauwetter einsetzt.

Bleskin.jpg

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen