
Zehntausende nahmen in Moskau am Trauerzug für den ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow teil.
(Foto: AP)
Zynismus, Propaganda, Korruption und Gewalt prägen das Russland Wladimir Putins. Das ändert nichts daran, dass es auch ein besseres Russland gibt. Diesem sollte unsere Sympathie gehören, nicht dem Autokraten.
Der Eindruck täuscht. Russland ist mehr als ein autokratischer Präsident, protzende Oligarchen, eine gewissenlose Justiz und eine große Mehrheit, die zufrieden mit Wladimir Putin ist. Daran können weder der aggressive Propagandaapparat, noch die Polizei und die Geheimdienste etwas ändern: Es gibt das kluge, offene, neugierige, poetische Russland. Es gibt das Russland, das ich so sehr liebe.
Zugegeben, manchmal frage ich mich, ob dieses Russland verschwunden ist – verdrängt von Zynismus, Gewalt und Lügen. Und dann zeigt mir der Trauermarsch für den ermordeten Oppositionellen Boris Nemzow, dass dieses Russland noch immer da ist.
Da sind sie, die Anständigen, die Tapferen. Was für ein überwältigendes Bild! Zehntausende in Sichtweite des Kremls. Die vielen russischen Flaggen sind eine deutliche Botschaft: Die Trauernden wollen Russland nicht dem Kreml, nicht den Nationalisten überlassen. Sie sind Patrioten und keine Feinde Russlands - auch wenn das Staatsfernsehen das gerne anders darstellt.
Ja, die Opposition ist klein. Aber was soll das schon heißen? Allgegenwärtige Propaganda sorgt dafür, dass die meisten Russen mit Putins Politik zufrieden sind. Und ein mächtiger Sicherheitsapparat sorgt dafür, dass die meisten Unzufriedenen die innere Immigration wählen. Oder das Land verlassen.
Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die Zivilgesellschaft in Russland trotz allem gibt. Auch wenn es nur wenige sind, sie sind die Hoffnung auf eine bessere Zukunft Russlands. Diese Menschen haben unseren Respekt verdient, unsere Solidarität. Sie müssen wir nach Kräften unterstützen.
Was das heißt? Dass wir uns gegen Putin und die vielen anderen stellen, die Russland ausplündern. Dass wir denjenigen helfen, die Russland diesen Menschen nicht überlassen wollen.
Es wäre beispielsweise ein guter Anfang, die Visa-Pflicht abzuschaffen. Wir müssen Russen herzlich willkommen heißen. Zeigen wir, was es heißt, in einer offenen, freien, toleranten Gesellschaft zu leben. Lasst uns junge Russen ermuntern, in Deutschland zu studieren.
Putin wird uns und den Russen noch lange erhalten bleiben. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass es auch ein anderes Russland gibt. Und diesem sollte unsere Sympathie gehören. Meine Liebe zu diesem wunderbaren Land kann selbst Putin nicht zerstören.
Quelle: ntv.de