Zwischenruf Fragezeichen nach der Wahl in Holland
13.09.2012, 20:45 UhrDie Niederländer entscheiden sich für eine Koalition aus rechter und linker Mitte. Es geht ihnen um Stabilität. Wie rasch aber eine Koalition zustande kommt, wer der notwendige dritte Partner ist, und ob das Bündnis von Dauer ist, muss sich zeigen. Der Siegeszug der Rassisten ist gestoppt, deren sozialer Nährboden aber geblieben.

Mark Rutte von der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) ist der strahlende Sieger der vorgezogenen Parlamentswahl in den Niederlanden.
(Foto: dpa)
Die Wahlprognosen in den Niederlanden waren so unsicher wie nun die Bildung einer neuen Regierung. Hatten Umfragen die "Socialistische Partij" von Emile Roemer wochenlang vorn gesehen, stagnierte die stärkste Kraft links von der Sozialdemokratie. Zu unsicher erschien schlussendlich wohl vielen die Kritik am Eurokurs der bisherigen Regierung bei gleichzeitiger Befürwortung des Euro.
Unsere Nachbarn entschieden sich für ein Rezept, das auf den ersten Blick an frühere Zeiten erinnert: Der Erst- und der Zweitplatzierte bilden eine Große Koalition. Doch die rechtsliberale "Volkspartij voor Vrijheid en Democratie" (VVD) des bisherigen Ministerpräsidenten Mark Rutte und die sozialdemokratische "Partij van de Arbeid" (PvdA) von Senkrechtstarter Diederik Samsom verfügen in der Ersten Kammer der Generalstaaten über keine Mehrheit. Die größten Chancen als Dritte im Bunde dürften sich die sozialliberalen "Democraten 66" ausrechnen.
Ob "Christen Democratisch Appèl" (CDA), die Schwesterpartei der CDU, die bislang in Ruttes Minderheitsregierung vertreten war, es noch einmal versucht, ist offen. Der CDA hatte spürbare Stimmenverluste hinnehmen müssen. Nicht auszuschließen ist, dass die Partei in der Opposition einen Neustart versucht.
Die Kabinettsbildung kann sich über Wochen hinziehen. Die Schnittmengen von VVD und PvdA in Sachen Europa und Euro sind groß. Doch Rutte will den Hellenen den Geldhahn zudrehen. Samsom hingegen möchte ihnen mehr Zeit für die Umsetzung der Sparziele geben. Beide hatten sich im Wahlkampf ziemlich arg beharkt. Das macht es schwierig, sich am nächsten Tag gemeinsam an den Kabinettstisch zu setzen.
Im Unterschied zu Deutschland muss der Premierminister nicht zwingend durch die stärkste Partei gestellt werden. Samsom kann also durchaus selbst Anspruch auf den Posten erheben. Der Sozialdemokrat gehört zum linken Flügel seiner Partei und will vermeiden, dass es zu sozialen Einschnitten kommt.
Rutte tönt, das Boot wäre für nichtqualifizierte Einwanderer voll. Dies war auch eine der Brücken, welche die VVD mit der rassistischen Partij voor de Vrijheid des Geert Wilders, verband. Nun haben die Wähler den Mann mit der eigenwilligen Haartolle abgestraft. Ob aber nun Wilders Liebesentzug gegenüber Rutte oder die antiislamischen und antieuropäischen Hetzparolen der Grund für die Abfuhr war, muss sich zeigen. Denn unbestritten fiel der Gossenjargon auf einen fruchtbaren sozialen Boden, der nicht am Tag nach dem Urnengang verschwunden ist.
Der Zug nach rechts ist aber gestoppt. Zunächst zumindest. Die Niederlande werden künftig von der rechten und linken Mitte regiert. Wie lange das hält, bleibt abzuwarten. Denn die Sozialdemokraten haben schon einmal ein Kabinett verlassen. Weil sie gegen die Fortsetzung der Teilnahme der Nederlandse krijgsmacht am Krijg in Afghanistan sind.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de