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Der Kreml sperrt Nawalny ein In Russland fließen Tränen

Alexej Nawalny wird aus dem Gerichtssaal geführt.

Alexej Nawalny wird aus dem Gerichtssaal geführt.

(Foto: dpa)

Das Urteil tut weh: In Russland wird der wichtigste Oppositionelle zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Selbst für Hartgesottene ist der Richterspruch nur schwer zu ertragen. Zeigt er doch, wie gnadenlos und zynisch der Kreml ist.

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Das ist merkwürdigerweise selbst in Wladimir Putins Russland der Fall – obwohl es dort für Zuversicht im Grunde nur wenig Anlass gibt. Und so sorgt die Verurteilung Alexej Nawalnys wegen Betrugs im Gerichtssaal für lähmendes Entsetzen – obwohl jedem vor dem Urteil klar war, dass Russlands wichtigster Oppositioneller aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe zweifellos ins Straflager gesteckt wird. "Einige Journalisten weinen", schrieb eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur AP auf Twitter. Es waren wohl Tränen der Wut und der Ohnmacht. Selbst die Moskauer Börse erlebte einen Rücksetzer.

"Trotz seiner optimistischen Aussagen wusste er, dass er für lange Zeit ins Gefängnis geht", sagte Nawalnys Frau Julia. Zuvor hatte Nawalny sie umarmt, seine Mutter auf die Wange geküsst und seinem Vater die Hand gedrückt. Dann wurde Putins namhaftester Gegner abgeführt. Er wird bis nach den Präsidentenwahlen 2018 im Lager bleiben – mindestens. Es laufen bereits vier weitere Verfahren gegen ihn, er könnte deshalb bis zu seinem Lebensende dort bleiben. Dabei hätte es gereicht, Nawalny auf Bewährung zu verurteilen, um zu verhindern, dass er für politische Ämter kandidiert. Doch der Kreml schickt ihn in eines der berüchtigten Straflager – wie Michail Chodorkowski oder Mitglieder der Punkband Pussy Riot.

"In Russland ist es nichts Ungewöhnliches, politische Gegner des Regimes einer Straftat schuldig zu sprechen", schrieb Chodorkowski aus seiner Lagerhaft. "Sowohl während der Zeit des stalinistischen Terrors als auch in den Chruschtschow/Breschnew-Jahren hielt unsere Justiz Regimegegner routinemäßig als gewöhnliche Kriminelle gefangen, so dass die Führung des Landes scheinheilig behaupten konnte, dass es keine politischen Gefangenen gab."

Der Kreml schlägt zu

Für Russlands Opposition ist die Verurteilung Nawalnys eine Katastrophe. Sie verliert eine charismatische Führungsfigur mit großem politischen Talent, die Massen mobilisieren kann – und für Putin deshalb überaus gefährlich geworden ist. In den vergangenen Tagen hatte Nawalny deshalb versucht, die Opposition auf die Zeit ohne ihn vorzubereiten. "Wie viele Menschen können sie verhaften?", schrieb er einen Tag vor der Verurteilung in seinem Blog. "Vielleicht zwischen 20 und 50. Ok, wenn sie sich kräftig bemühen, vielleicht 100. Das ist ihr gesamtes Drohpotenzial. Verständlicherweise ist es eher unerfreulich, zu diesen Menschen zu gehören. Aber im Leben können halt viele Dinge passieren."

"Die Kröte wird nicht von alleine vom Ventil der Öl-Pipeline springen", schrieb er mit Blick auf Putin. "Ihr müsst sie mit einem Stock herunterschubsen oder mit zusammengerolltem Papier entfernen. Die wichtigste Sache ist, dass wir unseren Mut zusammennehmen, unser Unwohlsein ignorieren und es einfach machen. Es braucht dazu keiner bestimmten Führung. Ihr müsst begreifen: Da ist niemand - außer euch."

Das ist wohl richtig. Doch ohne Nawalny wird die Opposition noch viel schwächer, als sie es bereits schon ist. Und ihr Gegner ist furchteinflößend.

Während das Urteil gegen Nawalny verlesen wurde, demonstrierte der Kreml eindrucksvoll seinen unnachahmlichen Zynismus: Er gratulierte Nelson Mandela zu seinem 95. Geburtstag. Und Edward Snowden? Der hatte jüngst betont, "Russland hat meine Dankbarkeit und meinen Respekt, weil es sich gegen Menschenrechtsverletzungen stellt". Einen Tag vorher hatte ein Moskauer Gericht einen toten Anwalt posthum wegen Betrugs verurteilt – der Jurist hatte herausgefunden, dass Beamte des Innenministeriums den Staat um mehr als 200 Millionen US-Dollar geprellt hatten. Er starb im Gefängnis an den Folgen von Misshandlungen.

Es gibt Tage, an denen könnte man tatsächlich weinen.

Quelle: ntv.de

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