Bundesregierung zieht falsche Bilanz Koalition ohne große Ambitionen
26.03.2014, 11:17 Uhr
Gute Miene zum bösen Spiel? Mit dem Vertrauen in der Großen Koalition ist es zumindest so eine Sache.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seit 100 Tagen ist die Große Koalition im Amt. Und etliche Gesetzesentwürfe liegen schon vor. Es geht voran in Deutschland. Scheinbar.
Für jede Bilanz gibt es zwei Lesarten. Eine misst die Erfolge oder Misserfolge einer Unternehmung an den Zielen der Unternehmer, die zweite an den Leistungen anderer Unternehmungen. So ist es auch mit der Bilanz der Großen Koalition nach 100 Tagen im Amt.
Gemessen am Koalitionsvertrag könnte der Start in die Legislaturperiode von Union und SPD kaum besser verlaufen. Finanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU legt den versprochenen ausgeglichenen Haushalt vor, den ersten seit 45 Jahren, sein Kollege von der SPD, Justizminister Heiko Maas, einen Gesetzentwurf zur Mietpreisbremse und Arbeitsministerin Andrea Nahles zum Mindestlohn. Ein Ziel nach dem anderen arbeitet die Große Koalition ab. Es geht voran. Engagiert. Schnell. Aber nur scheinbar. Denn einen Faktor verkennt diese Lesart der ersten 100 Tage im Amt.
Die Bundesregierung erledigt die Aufgaben, die sie sich gestellt hat - trotz Edathy-Affäre und einem ausgeprägten Vertrauensproblem zwischen CDU, CSU und SPD. Gemessen an dem, was eine Große Koalition mit einer breiten Mehrheit im Parlament leisten könnte allerdings, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Und das wird auch so bleiben, wenn sich die Bundesregierung weiterhin allein daran orientiert, was sie in den Koalitionsverhandlungen festgelegt hat.
Eine getriebene Partei
Die waren nämlich nicht davon geprägt, einen Pfad hin zu einem stärkeren Deutschland zu finden. Vor allem die SPD-Führung stand nach der Bundestagswahl unter Druck. Wegen des Mitgliederentscheids sah sie sich gezwungen, es ihrer Basis recht zu machen. Und diese Haltung bestimmt das Denken der Sozialdemokraten noch immer. Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagt, die SPD stelle nun unter Beweis, "dass sie ihre Versprechen auch hält".
Kanzlerin Angela Merkel wiederum verfiel in den Koalitionsverhandlungen in gewohntes Problem-Management. Mit ihrer Union stellte sie lediglich sicher, dass der Kurs der neuen Bundesregierung nicht allzu sozialdemokratisch daherkommt. Und auch an dieser Haltung hat sich wenig geändert. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Volker Kauder, sagt: "Wir sind dabei, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Da sind Projekte dabei, die der SPD ein Herzensanliegen waren, und da sind unsere Projekte dabei." Als besonders bedeutsam und als das "Generationengerechtigkeitsprojekt" schlechthin bezeichnet er den ausgeglichenen Haushalt seines Parteikollegen im Finanzministerium. Darüber, dass die Koalition zugleich die Rentenkasse schröpft, spricht er dagegen nicht so gern.
Ein Sammelsurium von Gefälligkeiten
Nach 100 Tagen im Amt zeigt sich, was sich schon in den Koalitionsverhandlungen angedeutet hat: Es gibt keine Ziele der Bundesregierung, es gibt nur Ziele von CDU, CSU und SPD. Der Koalitionsvertrag ist ein Sammelsurium von Gefälligkeiten, die mal den Christdemokraten, mal den Christsozialen und mal den Sozialdemokraten beim Buhlen um ihre Anhänger nützen sollen.
Dabei könnte es so anders sein, wenn Schwarz-Rot ambitionierter wäre. Dass es anders geht, beweisen frühere Große Koalitionen. Für sie galt: Dank ihrer starken Mehrheit im Parlament hatten sie die Möglichkeit, auch unpopuläre, dafür umso wichtigere Reformen durchzusetzen. Dass dies für diese Große Koalition nicht gilt, macht vor allem die vielleicht bedeutsamste Aufgabe dieser Generation deutlich - die Energiewende. CSU-Chef Horst Seehofer versucht den Bau von Stromtrassen in den Süden zu verhindern, weil er den Sorgen bayerischer Anwohner, die keine Hochspannungsleitungen in ihrem Garten haben wollen, erliegt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wiederum lässt das Jahrhundertprojekt zu einer Frage nach zumutbaren Strompreisen verkommen.
Noch genießt diese Große Koalition große Popularität, nicht zuletzt, weil sie in der Krim-Krise geschlossen agiert und besonnen auftritt. Sie kämpft für die Vision eines friedlichen Europas, das sich auf dem Prinzip des gemeinsamen Wohlstands gründet. Will Schwarz-Rot sich auch 2017 noch großer Popularität erfreuen, muss die Koalition eine vergleichbare Vision auch für ihre Innenpolitik finden.
Quelle: ntv.de