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Die große Anomalie Europas Kuhhandel rettet Berlusconi

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(Foto: REUTERS)

Und wieder einmal hat Silvio Berlusconi den Kopf aus der Schlinge gezogen. Egal, ob er direkt an der Regierung ist oder ob auch einmal auf den Oppositionsbänken Platz nehmen muss: Der 74-jährige Mailänder hat Italien fest im Griff. Zwar hat Berlusconi in keiner Meinungsumfrage mehr eine Mehrheit für seine Partei und die verbündete Liga Nord, aber wie man Abgeordnete zusammenklauben muss, das weiß er sehr gut.

Wenn man dies, was in den letzten Tagen in Rom stattgefunden hat, einen Kuhhandel nennt, so ist das noch eine freundliche Umschreibung. Da wurden Posten in der Regierung angeboten, Geld, Vorteile jeder Art, das wurde ganz offen diskutiert, einzelne Abgeordnete gar offen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.

Berlusconi hat nach dem Sieg im Parlament nun die beste Ausgangsposition. Gelingt es ihm, noch ein Dutzend Abgeordnete dauerhaft aus der Opposition loszueisen, kann er getrost bis zum Ende der Legislaturperiode in drei Jahren regieren. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Berlusconi auf Neuwahlen im nächsten Jahr zusteuert. Die mickrige Mehrheit von drei Stimmen reicht fürs Regieren nicht.

Neuwahlen wünscht sich auch der treue Bündnispartner, die Liga Nord von Umberto Bossi. Als amtierender Regierungschef kann Berlusconi den Wahlkampf bequem steuern. Über seine eigenen Fernsehsender und die volle Kontrolle der Staatssender RAI hat er die Meinungshoheit über die Köpfe der Italiener, die sich zu 70 Prozent politisch nur über die Nachrichtensendungen im Fernsehen informieren.

In Italien eine Macht

Der Politiker Silvio Berlusconi ist die große Anomalie Europas. Im Ausland belächelt, nicht für voll genommen, lächerlich gemacht. In Italien aber ist er eine Macht. Das hat er mit dieser Abstimmung noch einmal bewiesen. Wie lange wird Berlusconi noch dauern?

Das hängt wesentlich von der Opposition ab. Die Oppositionsparteien haben heute mehr als 60 Prozent der Italiener hinter sich, sind aber in drei Lager zerfallen. Berlusconi bleibt also der relativ stärkste. Das Wahlrecht hat er sich fast auf den Leib geschneidert. Die relative Mehrheitspartei bekomme 55 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus. Diesen Bonus würde Berlusconi einkassieren, weil die Oppositionsparteien uneinig sind, das ist der große Vorteil Berlusconis.

Nicht vergessen werden darf: In jeder Demokratie westlichen Zuschnitts hätte Berlusconi längst den Hut nehmen müssen. Doch nicht in Italien. Nehmen wir den Fall Marcello Dell’Utri. Berlusconi und der Sizialianer Dell’Utri, seit vielen Jahren Senator für Berlusconi, kennen sich seit Studienzeiten. Dell’Utri baute zuerst die Werbefirma Berlusconis auf, Publitalia, dann die Partei Berlusconis, Forza Italia, aus der dann „Volk der Freiheit“ die jetzige Partei Berlusconis hervorging. Dieser Mann ist jüngst vom Appellationsgericht Palermos verurteilt worden, weil er der sizilianischen Mafia dauerhaft Beihilfe geleistet habe, vor allem das Geld der Mafia in Mailand anzulegen, und, so schreiben es die Richter, Dell’Utri sei der Kontaktmann zwischen der sizilianischen Mafia und Silvio Berlusconi gewesen, zu mindestens bis 1992.

Einen Mafiaboss als Dauergast

Kein Politiker der demokratischen Welt würde ein solches Urteil überleben, weder Dell’Utri, noch dessen Schutzpatron Berlusconi  – auch wenn noch die Bestätigung des Urteils durch den obersten Kassationsgerichtshof fehlt. Sicher, Berlusconi selber ist nicht angeklagt. Er selber steht eher als Opfer von Erpressungsversuchen durch die Mafia da. Doch als die Mafiosi Berlusconi in den 70er Jahren entführen wollten, was tat der damalige Bauunternehmer?

Er holte sich für 18 Monate einen hochkarätigen Mafiaboss ins Privatschloss nach Arcore bei Mailand, der mit ihm zusammen beim Abendessen saß, der die Kinder Berlusconis in die Schule brachte (!). Können wir uns das überhaupt vorstellen? Einen Mafiaboss als Dauergast zu Hause bei Kohl, Mitterrand oder Reagan? All dies ist gerichtsnotorisch, niemand in Italien zweifelt diese Tatsache an: Aber Berlusconi hat sie bisher nicht geschadet.

Mehrere Gesetze retten Berlusconi

Desgleichen schrieb das Gericht von Mailand im jüngsten Bestechungsprozess gegen den Anwalt Berlusconis, David Mills, ins Urteil, dass Berlusconi seinen Anwalt Mills bestochen habe, damit dieser das Gericht über die Verwicklung in die Gründung der Offshore-Firmen im Dunkeln lasse. Um diesem Verfahren zu entgehen, erließ die Regierung Berlusconi eigens mehrere Gesetze, die nun beim Obersten Verfassungsgericht zur Prüfung vorliegen. Wenn über Berlusconis Strafverfahren geredet wird, darf man dies nicht vergessen: Es ging und geht dabei keineswegs um Peanuts.

Dass Berlusconi bisher nie verurteilt wurde – außer in Venedig wegen Meineides, als er die Mitgliedschaft in der Geheimloge P2 leugnete – ist seiner außerordentlichen Bravour zuzurechnen, das halbe Land zur Verteidigung seiner Privatinteressen ins Feld zu führen. Wie kann sich eine freie Meinung bilden, wenn 95 Prozent aller Nachrichten- und Informationssendungen entweder in Fernsehsendern stattfinden, die ihm persönlich gehören, oder in solchen, die er über seine politische Macht kontrolliert, wie das Staatsfernsehen RAI, in dem jeder auch nur noch so kleinste Posten direkt von den Regierungsparteien vergeben wird.

Noch hat Berlusconi das Land im Griff. Die knappe Abstimmung aber zeigt doch Eines: Der Konsens bröckelt. Innerhalb von zwei Jahren sind ihm über 100 Abgeordnete abhanden gekommen, sind in die Opposition gewechselt. Aus der größten Mehrheit in der Geschichte Italiens ist eine der knappsten geworden. Italiens Geschichte ist, dass solch knappe Mehrheiten nie lange dauern.

Quelle: ntv.de

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