Protest in Dresden Kunst zerstören, ehe die Welt untergeht
24.08.2022, 17:03 Uhr
Aktivisten hatten sich in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister an die "Sixtinische Madonna" geklebt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Akteure der "Letzten Generation" haben sich an den Rahmen der "Sixtinischen Madonna" geklebt. Der Missbrauch epochaler Kunstwerke kann aber nicht der Weg aus der Klimakrise sein. Er sorgt im Gegenteil für Unverständnis und Verdruss über die endlosen Mahnungen.
Die Scrovegni-Kapelle in Padua beherbergt einen kulturellen Schatz der Menschheit, ein epochales Werk. Es handelt sich um einen biblischen Freskenzyklus, den Giotto von 1304 bis 1306 schuf. Der Maler befreite seine Figuren von der Starrheit der Gotik und gab ihnen individuelle Gesichtszüge, die starke Emotionen verraten. Zum ersten Mal in der Kunstgeschichte sind dort Tränen dargestellt. Giotto wies damit den Weg in die Renaissance.
Um die Wandgemälde, die den Zweiten Weltkrieg - Padua wurde aus der Luft bombardiert - unbeschadet überstanden, für kommende Generationen zu bewahren, ist die Besucherzahl drastisch beschränkt. Jeder Gast darf nur 15 Minuten in der Kapelle verweilen. Vergangenen Sonntag gönnten sich drei Klima-Aktivisten eine halbe Stunde. Zwei ketteten sich an die Balustrade, die ein zu nahes Herantreten an die Wände verhindert. Ein Dritter zeigte ein Plakat mit der Aufschrift "Letzte Generation kein Gas und keine Kohle".
Die Wahl der Fresken Giottos als Protestort begründeten die drei jungen Männer unter Verweis auf die Apokalypse: "In seinem wunderbaren Werk versuchte er, die Menschheit zu lehren, wie sie leben muss, um sich selbst zu retten.“ Das Jüngste Gericht kennt nur die Guten und die Bösen. Der Himmel-oder-Hölle-Ansatz lässt keine Differenzierung zu. Er passt somit zum scharfen Freund-Feind-Schema der "Letzten Generation". Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei, die Fresken erlitten zum Glück keinerlei Schaden.
Begründung ist kunsthistorisch Unsinn
Am gestrigen Dienstag klebten sich zwei Akteure der "Letzten Generation" an den Rahmen von Raffaels "Sixtinischer Madonna", eines der berühmtesten Renaissance-Gemälde überhaupt und Höhepunkt der Dresdner Sammlung "Alte Meister". Eine Protestierende verwies wie die Mitstreiter in Padua ebenfalls auf die Erwartung der Apokalypse: "Maria und Jesus blicken mit Furcht in die Zukunft. Sie sehen dem Kreuztod Christi mit Schrecken entgegen. Ein genauso vorhersehbarer Tod wird auch das Resultat des Klimakollaps sein. Und zwar auf der ganzen Welt!"
Kunsthistorisch ist das Unsinn. Am originalen Schauplatz des Gemäldes in einer Klosterkirche im norditalienischen Piacenza waren die Blicke Marias und des Kindes frontal auf ein Kruzifix gerichtet. Sie verwiesen auf die Bestimmung Christi, den Menschen zur Erlösung zu verhelfen und eben nicht ins Fegefeuer zu geraten. Die kecken Englein am unteren Bildrand, vermutlich die bekanntesten gemalten Gottesboten auf der Welt, stellen eine Verbindung zur Erde dar. Im Gegensatz zu Akteuren der "Letzten Generation" haben sie Bodenhaftung.
Die Aussage der Protestierenden ist bezeichnend, überall - und selbst in den Augen der "Sixtinischen Madonna" - den nahen Weltuntergang zu sehen. Da Akteure der "Letzten Generation" in Interviews immer wieder Bildung erkennen lassen, darf man davon ausgehen, dass sie wussten, dass es sich bei dem Rahmen um eine der Renaissance-Zeit nachempfundene Schöpfung handelt. Er war 2012 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert worden - 500 Jahre zuvor hatte Raffael in Rom den Auftrag für das Werk erhalten. Ein kunsthistorischer Schaden ist, Gott sei Dank, auch in Dresden nicht zu beklagen, der materielle dürfte sich in Grenzen halten.
Solche Proteste bewirken das Gegenteil
Dennoch ist es ein übler Vorgang, sich an dem Gemälde - im wahrsten Sinne des Wortes - zu vergreifen. Er ist respektlos und zeigt, dass die Klimaschützer jedes Augenmaß verloren haben, was ihnen den Ruf einbrachte, Hysteriker zu sein. Erstaunlich ist die Ignoranz dieser Leute, die die Welt retten wollen, aber in einem Mikrokosmos leben. Es ist ja nicht so, dass die Bevölkerung, die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kultur, die Verwaltung etc. nichts vom Klimawandel und seinen Gefahren wüssten oder drauf pfiffen. Die Nachrichten liefern jeden Tag Indizien und Belege, was die Erderwärmung für Folgen für die Menschheit hat.
Dass es die Grünen als deutsche Klimaschutz-Partei Nummer eins in die Regierung geschafft haben, ist kein Zufall, sondern beruht auf genügend Wählerstimmen. Mit Sicherheit täte Robert Habeck, der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, nichts lieber, als konsequent Maßnahmen gegen die Erderwärmung umzusetzen, statt in der Welt herumzufahren und irgendwelche Scheichs um Gas zu bitten, weil Russland die Ukraine überfallen hat.
Jedes Konzept muss Augenmaß haben
Es ist definitiv nicht so, dass niemand etwas tun will, wie die "Letzte Generation" immer wieder unterstellt. Aber jedes Konzept muss Augenmaß haben und zu nationalen und internationalen Entwicklungen passen. "Kein Gas und keine Kohle" - was dann, wenn auch Atomstrom abgelehnt wird und es an Wind- und Solaranlagen mangelt? Gerade sorgen sich Menschen nicht, ob sie von der Apokalypse heimgesucht werden, sondern ob sie finanziell den Winter überstehen. Schmiert die Wirtschaft ab, haben wir ein Heer von Arbeitslosen, was zu sozialen sowie politischen Verwerfungen führen würde und verheerend für den Klimaschutz wäre.
Proteste wie in Padua und Dresden bewirken genau das Gegenteil. Je mehr die Apokalypse beschworen wird, desto stärker werden das Unverständnis und der Verdruss über die ewigen Mahnungen. Ungeachtet dessen bewegen sich die Weltuntergangsgläubigen genauso wie Verschwörungsgläubige in einer Blase, in der nur sie der Maßstab aller Dinge und allen Handelns sind. Sie brechen Recht, halten die Polizei, die genug zu tun hat, von wichtigeren Aufgaben ab und beschweren sich, wenn die irdische Justiz sie dafür belangt.
Seltsam ist zudem das Verhalten der Öffentlichkeit. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, zu der die "Alten Meister" gehören, verurteilten die Aktion erst einen Tag später - und das auch nur auf Anfrage von MDR Kultur und nicht in einem offiziellen Statement. Der MDR zeigte sich in einem Kommentar voller Verständnis. Darin hieß es: "Vielleicht hätte der Klimaprotest in der Dresdner Gemäldegalerie sogar noch radikaler sein können." Und weiter: "Banksy hätte seine Hand auf das Gesicht der Madonna geklebt." Bitte nicht! Der Missbrauch epochaler Kunstwerke oder gar ihre Zerstörung, bevor die Welt untergeht, kann nicht der Weg aus der Klimakrise sein.
Quelle: ntv.de