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Zwischenruf Libyen: Die Welt am Scheideweg

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(Foto: picture alliance / dpa)

Ungewöhnlich: Die arabische Welt spricht sich erstmals für eine Flugverbotszone über ihren arabischen Nachbarstaat Libyen aus. Doch in Washington ist man darüber geteilter Meinung. Denn solch ein Verbot ist die Vorstufe einer bewaffneten Intervention. Man muss vielmehr mit neuen Mitteln reagieren.

Das gab es noch nie: Eine einmütige und unmissverständliche Stellungnahme der Arabischen Liga in einer so heiklen Frage wie die Errichtung einer Flugverbotszone über Libyen. Dies gab es allerdings auch noch nie: Die aus 21 Staaten und Palästina bestehende Organisation befürwortet zum ersten Mal, dass das Ausland militärisch in einem arabischen Land eingreift.

Die Angst unter den Despoten muss groß sein. Fast alle von ihnen sind weiterhin in unterschiedlichem Maße Verbündete der Vereinigten Staaten und anderer westlicher Staaten: Im Unterschied zu Libyens Diktator Muammar al-Gadaffi, der von seinen Freunden Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi fallengelassen wurde wie die berühmte heiße Kartoffel. Von Marokko über Saudi-Arabien bis zum Jemen hoffen die Machthaber auf Gegenleistungen aus Washington, sollte es ihnen einmal an den Kragen gehen.

Geteilte Meinungen in Washington

Paradoxerweise sind aber die Meinungen im offiziellen Washington geteilt. Auch dort ist die Verwirrung über das weitere Vorgehen augenscheinlich groß. Das Pentagon zögert. Nicht zu Unrecht verweist Verteidigungsminister Robert Gates auf das Engagement seines Landes im Irak und in Afghanistan. CIA-Chef James Clapper meint gar, die USA seien der Auffassung, die Gadaffi-Getreuen könnten den Sieg davontragen, was das Weiße Haus umgehend dementiert. Es ist zugegebenermaßen schwierig für die Vereinigten Staaten sich in ihrem Vorgarten zurechtzufinden, nachdem schon der lateinamerikanische Hinterhof gründlich umgestaltet wurde.

Die internationale Staatengemeinschaft sollte angesichts der neuen Lage zwischen Marokko und dem Jemen nicht mit den alten Mitteln reagieren. Westliche Interventionen hat die arabische Welt seit dem 19. Jahrhundert allzu oft erlebt. Eine Flugverbotszone ist über kurz oder lang fast zwangsläufig die Vorstufe einer bewaffneten Intervention. Überlegungen, man könne die Nachbarländer einbeziehen, sind Phantastereien. Es darf bezweifelt werden, dass Strukturen und Kommunikationssysteme der ägyptischen oder der algerischen Armee mit denen der NATO – die einzige Organisation, die theoretisch zur Errichtung einer "non fly zone" fähig wäre – kompatibel sind. Die Gefahr von "friendly fire" wäre noch größer als in Afghanistan.

Neue Situation erfordern ein neues Herangehen: Friedlicher Dialog ist angesagt statt martialischer Gesten. Da muss Gadaffi nicht notwendigerweise mit am Tisch sitzen, wohl aber Vertreter seines mächtigsten Stammes, ohne den eine Lösung kaum möglich erscheint. Es sei denn, Arabische Liga und UN-Sicherheitsrat akzeptierten den Zerfall Libyens in mindestens zwei Teile und damit einen weiteren "failed state". Das wäre dann endgültig eine "failed policy".

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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