Zwischenruf Libyen: Dynamit stammt aus Weißem Haus
12.09.2012, 14:57 Uhr
Das US-Konsulat in Bengasi geht in Flammen auf, vier Menschen sterben.
(Foto: REUTERS)
Wieder einmal wenden sich Kräfte, die von den USA einst gegen Diktaturen unterstützt wurden, gegen ihre Schutzpatrone. Auch Obama setzt die kurzsichtige Der-Feind-meines-Feindes-ist-mein-Freund-Politik seiner Vorgänger fort. Vier Menschen haben dafür jetzt mit dem Leben bezahlt.
Ausgerechnet in Bengasi, jener Stadt, in welcher die Revolte gegen die Diktatur von Muammar al-Gaddafi ihren Ausgang genommen hatte, kommt es zuerst zu blutigen Übergriffen auf eine Vertretung der USA. Die Vereinigten Staaten sind eines jener Länder, das die Aufständischen am aktivsten unterstützten. Hat man in Washingtons Schaltzentralen der Macht die Allah'u-akbar-Rufe der Rebellen nicht gehört?
In Libyen droht ein ähnliches Szenario wie dereinst in Afghanistan und im Irak; in Syrien zeichnet es sich immer deutlicher ab. Besessen von der Idee, weltweite Führungsmacht zu sein, unterstützen die US-Administrationen stets jene, die ihren Kontrahenten feindlich gesinnt sind. Früher die Sowjetunion, heute Russland und China. Die unter Präsident Richard Nixon begonnene Unterstützung Pekings gegen Moskau hat nicht verhindert, dass beide Länder heute Verbündete sind. Gegen Washington.
US-Prinzip führt in die Sackgasse
Das Prinzip "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" mag als taktisches Instrument eine Zeitlang funktionieren. Strategisch gesehen führt es in eine Sackgasse. Osama bin Laden wurde bei seiner Suche nach Kämpfern gegen die "Ungläubigen" aus dem Norden vom US-Geheimdienst CIA unterstützt. Beim Einmarsch in den Irak setzte die US-Army auf die Schiiten, was sich als eklatante Fehlentscheidung erwies. Die schiitisch dominierte Führung des Zweistromlandes frisst heute dem Iran aus der Hand. Der in Israel und Saudi-Arabien stets gern zitierte "schiitische Halbmond", den es zu verhindern gelte, führt eben von Teheran über Bagdad und Beirut bis nach Damaskus. Doch erst die US-Invasion im Irak hat die politische Schia so stark gemacht.
Gleich, ob Schiiten oder wie jetzt in Libyen, Ägypten und Syrien Sunniten, US-freundlich sind die Radikalen unter ihnen in keinem Fall. Die Ermordung des Botschafters in Bengasi ist der erste Tod eines US-Botschafters seit mehr als zwei Jahrzehnten. Auch drei seiner Mitarbeiter wurden getötet. Die Bluttaten in Libyen können zum Auslöser einer neuen Serie der Gewalt vom Maghreb bis in den Mittleren Osten werden, die auch auf Einrichtungen der USA, aber auch Israels, außerhalb dieser Region übergreifen kann.
Nur allzu frisch sind die Erinnerungen an die Folgen der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen durch ein dänisches Regionalblatt. Die Worte des Filmemachers - auf dessen in den USA produziertes und angeblich islamfeindliches Video sich die Angriffe beziehen -, er habe mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet, klingen da reichlich naiv. Aber der Streifen ist nur die Zündschnur. Das Dynamit stammt aus dem Weißen Haus.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist er Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de