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Flüchtlingsdrama in Österreich Nicht nur die Schlepper sind schuldig

In diesem Lastwagen kamen 71 Menschen ums Leben.

In diesem Lastwagen kamen 71 Menschen ums Leben.

(Foto: AP)

Wer 71 Menschen in einen Lastwagen sperrt, gehört hinter Gitter. Doch die Jagd nach Schleppern könnte die Reise der Flüchtlinge noch gefährlicher machen. Es gibt bessere Antworten auf das Drama in Österreich.

Wie kann es eigentlich sein, dass sich 71 Menschen in einem EU-Land in einen Transporter quetschen, enger als Tiere bei einem Viehtransport? Mehr als 350 Kilometer ist die nächste Außengrenze von dem Ort entfernt, an dem der Schlepper seinen Transporter abstellte. Viele der Verstorbenen kamen wohl aus Syrien, sie hätten das Recht gehabt, in der EU zu bleiben.

Der österreichische Bundeskanzler fordert, "Menschenleben zu retten, indem das Schlepperwesen bekämpft wird". Auch der deutsche Innenminister hat den Schuldigen für die Tragödie schon gefunden: "Dass dort viele, viele Menschen ersticken, weil verbrecherische Schlepper an diesen Menschen und an den unwürdigen Transportbedingungen Geld verdienen, macht mich wütend und fassungslos", so Thomas de Maizière.

Natürlich tragen einzelne Menschen die unmittelbare Schuld an diesem Verbrechen: der Fahrer des Wagens genauso wie seine Hintermänner. Doch sie sind nur das letzte Glied einer Ursachenkette und auch der Rest dieser Kette gehört benannt: Es sind die Kriege und Bürgerkriege im Nahen Osten, zu deren Beruhigung der Westen zu wenig beiträgt. Es ist die Abschottung der EU, die auch Kriegsflüchtlingen praktisch keinen legalen Weg nach Europa lässt. Und in diesem Fall sind es auch die unterschiedlichen Standards, nach denen EU-Staaten mit Flüchtlingen umgehen sowie die absurden Dublin-Regeln, nach denen Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben müssen, das sie zuerst betreten haben.

Gäbe es diese Regeln nicht, sondern ein anständiges Verteilungssystem und EU-weite Mindestansprüche an Flüchtlingsunterkünfte, dann hätten die Syrer in Ungarn einen Asylantrag stellen können und wären dann in das zuständige Land gebracht worden. So mussten sie befürchten, in Ungarn festgehalten und wie Häftlinge behandelt zu werden. Offenbar entschieden sie sich darum für die Weiterreise, die tödlich endete.

Gäbe es die Möglichkeit für Kriegsvertriebene, schon im Ausland Asyl zu beantragen, könnten Verfolgte einen sicheren Weg in die EU wählen.

Und würde der Westen es nicht zulassen, dass das Nato-Land Türkei den Bürgerkrieg in Syrien und im Irak anheizt, würden Länder wie Deutschland sich stärker gegen den Islamischen Staat engagieren, dann bestünde mehr Hoffnung, dass diese Katastrophe irgendwann endet.

Die Polizei in Österreich vermutet hinter dem Transport ein weit verzweigtes Netz von Schleppern mit vier, fünf oder sechs Organisationsebenen. Auch wenn Fahrer und Besitzer des Wagens nun gefasst sind – die mafiösen Strukturen des Schlepperwesens werden so leicht nicht zu sprengen sein. Wenn die Ursachen der lebensgefährlichen Flucht nicht gemindert werden, führt der Druck der Ermittler im schlimmsten Fall dazu, dass die Flüchtlinge noch mehr darauf achten, nicht entdeckt zu werden und die Schlepper noch höhere Risiken eingehen.

Quelle: ntv.de

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