Politik

Billig, sicher, eigentlich erlaubt Flucht per Flugzeug wäre möglich

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Derzeit kommen praktisch keine Flüchtlinge auf dem Luftweg nach Europa. Dabei wäre das erlaubt.

(Foto: REUTERS)

Die EU-Richtlinie 2001/51/EG hält Menschen fern, denen Europa Schutz versprochen hat. Auch deswegen sterben so viele Menschen im Mittelmeer. Könnte man die Richtlinie nicht abschaffen?

Europa ist ein guter Ort für Flüchtlinge. Zumindest in der Theorie. Wer in seiner Heimat verfolgt wird, findet in Europa Schutz. Ein Visum ist nicht notwendig, um Asyl zu beantragen. So steht es in der Genfer Flüchtlingskonvention, die alle EU-Staaten unterzeichnet haben.

Tatsächlich hat die EU aber längst einen Weg gefunden, die Flüchtlingskonvention formal zu befolgen, ohne wirklich Schutz zu bieten. Sie hält Flüchtlinge so fern, dass diese sich gar nicht erst auf die Konvention berufen können. Dabei hilft ihr eine Richtlinie, die verhindert, dass Asylbewerber einfach ein Flugzeug oder eine Fähre nehmen, um nach Europa zu kommen. Es geht um die Richtlinie 2001/51/EG.

Eigentlich hat diese Richtlinie von 2001 das Ziel, illegale Einwanderung zu verhindern. Sie macht Fluggesellschaften dafür haftbar, wenn eine Person ohne Visum in den Schengen-Raum eindringt. Die Fluggesellschaften müssen dann die Kosten übernehmen. In der Richtlinie heißt es zwar ausdrücklich: "Die Anwendung dieser Richtlinie beeinträchtigt nicht die Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen." Aber die Fluggesellschaften setzen sich einem Risiko aus: Wenn sie eine Person nach Europa bringen, die keinen Anspruch auf Asyl hat, wird es teuer für sie. Mit Unterkunft, Verwaltung und Rückreise kommen mehrere Tausend Euro zusammen. Eine Regelung im deutschen Aufenthaltsgesetz sieht zudem ein "Zwangsgeld für die Beförderungsunternehmen" vor, das bei durchschnittlich 2000 Euro liegt.

Die Regelung zeigt Wirkung: Zwar gibt es an internationalen Flughäfen Unterkünfte, in denen Asylsuchende festgehalten werden, bis ihr Antrag geprüft ist. Doch sie sind praktisch leer.

Niemand debattiert über Richtlinie 2001/51/EG

Angesichts des Massensterbens von Flüchtlingen im Mittelmeer erscheint diese Regelung aber immer fragwürdiger. Derzeit kämpfen sich Flüchtlinge über den afrikanischen Kontinent und zahlen dann rund 1000 Euro an Schlepperbanden in Libyen, Ägypten oder der Türkei, um in ein leidlich seetüchtiges Boot steigen zu dürfen. Dabei wäre ein Flug nicht nur sicherer und schneller, sondern auch noch günstiger. Darauf wies der schwedische Wissenschaftler Hans Rosling kürzlich hin. Ein Flugticket von Kairo nach Frankfurt am Main gibt es schon für weniger als 400, eines von Ankara für weniger als 200 Euro. Asylbewerber aus Somalia oder Eritrea sind oft Wochen unterwegs, bevor sie überhaupt die Küste des Mittelmeers erreichen. Dabei gibt es in der Nähe ihrer Heimat internationale Flughäfen.

Richtlinie 2001/51/EG zeigt: Die EU ist ein Teil des Problems, das sie gerade zu lösen versucht. Sie verbarrikadiert den Schutzbedürftigen alle Wege, so dass diese keine andere Wahl haben, als ihr Leben zu riskieren. An diesem Mittwoch will die EU-Kommission eine Flüchtlingsagenda vorstellen, mit Ideen, wie sich das Sterben im Mittelmeer verhindern ließe. Zudem erwägt sie, mit Waffengewalt gegen Schleuserbanden vorzugehen. Eine Änderung von Richtlinie 2001/51/EG ist nicht einmal Teil der Debatte.

Dabei könnte man das Risiko, das die Fluggesellschaften mit dem Transport von Flüchtlingen eingehen, verringern: Die Airlines könnten Fluggäste ohne Visum dazu verpflichten, die Kosten für ihren Rückflug zu hinterlegen, bevor sie an Bord gehen. Stellt sich heraus, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben, könnten die Airlines auf dieses Pfand zurückgreifen, um die Heimreise zu finanzieren.

Die Regierungen der EU-Staaten müsste dafür mehr investieren. Sie bräuchten mehr Personal, um die Anträge zu prüfen, im Transitbereich der Flughäfen müssten größere Unterkünfte entstehen. Denn illegale Einwanderer sollen möglichst schon dann identifiziert werden, bevor sie den Flughafen verlassen und damit deutschen Boden betreten. Bis dieser Prozess abgeschlossen ist, müssen sie irgendwo wohnen.

Die Linkspartei ist empört, dass Richtlinie 2001/51/EG fortbesteht. "Sanktionsregelungen gegen Beförderungsunternehmen sind mit dafür verantwortlich, dass Asylsuchenden ein sicherer Zugang in die EU verwehrt wird", sagt die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke. "Das Massensterben auf dem Mittelmeer ist eine Folge dieser Politik der Vorverlagerung der Flüchtlingsabwehr." Die Partei fordert deshalb nicht nur mehr legale und sichere Einreisewege für Flüchtlinge. Sie fordert auch, dass Richtlinie 2001/51/EG zusammen mit den deutschen Bestimmungen des Aufenthaltsrechts aufgehoben wird.

Union fürchtet mehr Asylanträge

Mit dieser Auffassung steht die Linke im deutschen Bundestag allerdings ziemlich allein da. Die Unions-Fraktion sperrt sich vehement gegen Änderungen. "Die Einreise ohne gültiges Visum auf dem Luftweg lehnt die CDU/CSU-Fraktion ebenso entschieden ab wie die Erteilung von Visa zur Einreise mit dem Zweck der Asylantragstellung", sagt Stephan Mayer. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion warnt vor einer wachsenden Zahl der Asylanträge. "Die zu erwartenden 400.000 Asylbewerber in diesem Jahr sind eine große Herausforderung für das Asylsystem. Die Möglichkeiten der Asylantragsstellung in Deutschland zu erweitern, würde diese Situation noch erheblich verschärfen." Mayer fordert statt Änderungen der Richtlinie, die Seenotrettung auszubauen, effizienter gegen Schlepper vorzugehen und die Situation in den Herkunftsregionen zu verbessern.

Ähnlich vehement lehnt die SPD Änderungen an der Richtlinie ab. Zwar setze sie sich für legale und sichere Wege der Einreise für Asylbewerber ein. Änderungen der europäischen Regelung hält sie aber für den "handwerklich falschen Ansatz". Er würde die illegale Einreise von Menschen ohne Anspruch auf Asyl begünstigen.

Die Grünen sympathisieren zwar grundsätzlich mit der Idee, die Richtlinie aufzuheben. Doch auch sie haben Vorbehalte. "Eine Änderung der genannten Richtlinie oder eine vollständige Aufhebung der Visapflicht erscheint mir aufgrund der dadurch beeinträchtigen Sicherheitsinteressen wenig realistisch", sagt Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen. "Vielmehr sollte die Bundesregierung die jüngsten Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer zum Anlass nehmen, um endlich ihre Blockade aufzugeben, was die Schaffung weiterer legaler und geschützter Einreisemöglichkeiten für Schutzsuchende angeht."

Eine schwer zu bewältigende Zahl an Asylanträgen, ein Schlupfloch für illegale Einwanderer, Sicherheitsinteressen - viele Gründe sprechen dafür, an der Richtlinie festzuhalten. Aber es sind Kompromisse vorstellbar, einige davon werden durchaus diskutiert. So könnte die EU weitere Sicherheiten verlangen, Asyl-Vorprüfungen im Ausland vornehmen oder auf diesem Weg erst einmal kleine Kontingente nach Europa lassen. Oder sie könnte die Geltung der Richtlinie zumindest für solche Staatsbürger aussetzen, die aus Ländern kommen, in denen es im großen Stil politische Verfolgungen gibt. Denn diesen Menschen haben die EU-Staaten durch das Unterzeichnen der Genfer Konvention ja versprochen, dass sie hierzulande Schutz bekommen.

Quelle: ntv.de

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