Kommentare

Zwischenruf Portugals permanente Krise

Wie lange er sich noch halten kann ist unklar: Portugals Premier Passos Coelho.

Wie lange er sich noch halten kann ist unklar: Portugals Premier Passos Coelho.

(Foto: AP)

Auf dem EU-Gipfel in Berlin steht formell auch für Portugal das Thema Jugendarbeitslosigkeit an erster Stelle. Doch Kommissionspräsident Barroso und Gastgeberin Merkel dürften Premier Coelho die Leviten lesen: Dessen Regierung steht wegen ihrer sozialen Streichorgien vor dem Aus. Neuwahlen sind nicht mehr ausgeschlossen.

Nach 24 Monaten an der Regierung steht die Koalition von rechtsliberaler PSD und konservativer CDS-PP vor einem Trümmerhaufen. Im öffentlichen Dienst wurden massenhaft Stellen gestrichen, das 13. Monatsgehalt fiel weg, Löhne und Gehälter wurden eingefroren, im Gesundheits- und Bildungswesen wird drastisch gespart.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OECD) erwartet für das kommende Jahr eine weitere Steigerung. Mit einer Jugenderwerbslosigkeit von 42 Prozent liegt das Land am Atlantik nach Griechenland und Spanien an dritter Stelle in der EU.

Geschuldet ist die Misere einem Sparprogramm, das von der sozialdemokratischen Vorgängerregierung mit der Troika ausgehandelt wurde. Das Kabinett stürzte dann darüber; paradoxerweise wird eben jenes Sparprogramm von den jetzigen Regierungsparteien umgesetzt, die bei der Vertrauensabstimmung im Parlament dagegen gestimmt hatten.

Wie ernst die Lage ist, zeigen nicht nur die wiederholten, erfolgreichen Generalstreiks. Auch die scharfe Kritik von Urgesteinen der portugiesischen Rechten wie Ex-PSD-Chef Ângelo Correia und des früheren Vorsitzenden der damals nur als CDS firmierenden CDS-PP Diogo Freitas do Amaral, zeitweilig auch Ministerpräsident und Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes, zeigt, dass die Regierung abgewirtschaftet hat.

Bislang weigert sich Premier Passos Coelho zurückzutreten. Auch hat er die Demission von Außenminister Paulo Portas, der auch der CDS-PP vorsteht, noch nicht angenommen. Portas ist bereits das zweite Kabinettsmitglied, das seinen Posten aufgibt. Frau Merkel und Kommissionschef Durão Barroso werden den portugiesischen Regierungschef drängen im Amt zu bleiben. Denn beide müssen zu Recht befürchten, dass das Sparprogramm in einer neuen politischen Konstellation auf den Prüfstand muss. Doch mit einer radikalen Kehrwende ist nicht zu rechnen. Schließlich hat die sozialdemokratische PS die Streichungen selbst ausgehandelt. Eine Linksalternative unter Einschluss von Kommunisten und sozialistischem Bloco de Esquerda ist rein rechnerisch möglich. Sie dürfte aber – wie in der Vergangenheit – an angeblich unüberbrückbaren Gegensätzen scheitern.

Am Donnerstag will Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva die Vertreter aller Parlamentsparteien an seinem Sitz im Lissaboner Stadtteil Belém empfangen. Dann wird sich das Schicksal der Regierung eines weiteren Euro-Krisenlandes entscheiden.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen

für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen