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Zwischenruf Syrien: Die Uhr tickt

Zerstörter Straßenzug in Aleppo.

Zerstörter Straßenzug in Aleppo.

(Foto: AP)

Mit der Feststellung, dass die französischen Berichte über den Einsatz von Giftgas durch die regimetreuen Truppen nun doch der Wahrheit entsprechen, setzt sich US-Präsident Obama selbst in Zugzwang. Er hatte für diesen Fall militärische Reaktionen nicht ausgeschlossen.

Nun ist das Weiße Haus in Washington davon überzeugt, dass das Assad-Regime im syrischen Bürgerkrieg Giftgas eingesetzt hat. Damit ist aus Sicht von Präsident Barack Obama dessen selbstgezogene "rote Linie" überschritten. Wochenlang hatte schon Frankreich als ehemalige Kolonialmacht unter Berufung auf Berichte und Proben von Journalisten der Tageszeitung "Le Monde" davon gesprochen, Beweise dafür in der Hand zu haben. Washington hatte Zweifel angemeldet. Nun sind die Zweifel an den Depeschen aus dem Palais d’Élysée plötzlich ausgeräumt. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Vormarsch der syrischen Regierungstruppen auf die mehrheitlich von Christen bewohnte Stadt Aleppo und die Einnahme des strategisch bedeutsamen Ortes Kusair ist augenfällig.

Geheimdienstnahe israelische Quellen vermelden, die Vereinigten Staaten würden gleichwohl eine wie auch immer geartete Intervention ausschließen. Doch Obama steht im Wort. Einen ersten Schritt hat er getan, als er jüngst die Lieferung von nichtmilitärischen Gütern in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete erlaubte. Man darf gespannt sein, wie die USA verhalten. Der russisch-US-amerikanische Vorschlag, noch in diesem Monat in Genf eine Friedenskonferenz für das Bürgerkriegsland abzuhalten, dürfte nunmehr obsolet sein. Es steht zu vermuten, dass Obama einmal mehr dem Druck der Falken aus den eigenen demokratischen wie aus den republikanischen Reihen ausgesetzt ist. Waffenlieferungen an die Rebellen wären ein Kompromiss. Umso mehr, als auch Russland fleißig Raketen nach Syrien verschippert.

Doch Obama weiß, dass die Unterstützung von Osama bin-Laden & Co. im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan sich schlussendlich in ihr Gegenteil verkehrt hat. Die Berichte über die Grausamkeiten der Radikalislamisten der al-Kaida nahestehenden al-Nusra-Front gegen die Christen in Kusair dürften dem Christen Obama bekannt sein. Die geostrategischen Interessen der Vereinigten Staaten kollidieren in Syrien mit dem religiösen Bekenntnis ihres ersten Mannes.

Bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse der Präsidentenwahlen im Iran, dem wichtigsten Verbündeten Baschar al-Assads in der Region, wird erst einmal nichts passieren. Doch danach müssen alle Seiten Farbe bekennen. Es ist fünf Minuten vor zwölf. Doch selbst in fünf Minuten kann eine politische Lösung herbeigeführt werden. Auf brisanten internationalen Konferenzen hält man einfach die Uhr an. Das sollte reichen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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