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Überschüsse in den Haushalten Warum der Staat gerade jetzt sparen sollte

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Klingt nach einer guten Idee. Ist aber keine.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bund, Länder und Gemeinden nehmen mehr Geld ein, als sie ausgeben. Sollen sie also auf Steuern verzichten? Das wäre ein Fehler.

Was sollte der Staat mit 18,5 Milliarden Euro tun? So viel Geld hat er im ersten Halbjahr an Überschuss erzielt. Es ist also Geld, das übrig ist, nachdem alle Lehrer, Soldaten, Straßenarbeiten, Zinsen und so weiter bezahlt waren. Jetzt liegt es auf den Konten von Bund und Ländern. Pünktlich zu dieser Nachricht macht der "Spiegel" auf seinem Titel einen Vorschlag: "Steuern runter!" Wenn zu viel Geld da ist, kann der Staat auf Einnahmen verzichten, so die Logik. Aber kann er das wirklich?

Das Absurde an Steuerdebatten ist, dass sie fast immer in die gleiche Richtung zeigen: nach unten. Wenn die Wirtschaft gut läuft und darum viel Geld da ist, sollen Bürger und Unternehmen "entlastet" werden. Wenn die Wirtschaft aber schlecht läuft, soll der Staat erst recht "entlasten", damit die Unternehmer keine Kündigungen aussprechen müssen.

Dass sich die Konjunktur in Wellen bewegt, ist normal und sogar nützlich. Sanfte Bewegungen führen dazu, dass neue Unternehmen mit neuen Ideen eher eine Chance bekommen. Krasse Abstürze hinterlassen aber nachhaltige Schäden. Unternehmen entlassen ihre Arbeitnehmer und brechen Kontakte ab. Wissen geht verloren, die Erholung wird immer schwieriger. Auch gesunde Unternehmen können vom Abschwung mitgerissen werden. Umso wichtiger ist, dass der Staat korrigierend eingreifen kann.

In den guten Zeiten ist es oft schwer, sich an die Schmerzen vergangener Krisen zu erinnern. Und derzeit ist es besonders schwer. Denn die Schuldenberge von Bund, Ländern und Kommunen fühlen sich leicht an, weil sie sich praktisch zinslos refinanzieren lassen. Jeder Schuldschein, der ausläuft, kann durch die niedrigen Zinsen quasi kostenlos abgelöst werden. Manchem erscheint es geradezu widersinnig, in so einer Situation nicht noch mehr Schulden zu machen.

Auch bei niedrigen Zinsen sind neue Schulden eine Last

Doch die absurde und für Privatleute schädliche Situation der Mini-Zinsen wird – hoffentlich – nicht ewig andauern. Jetzt aufgenommene Schulden müssen dann teuer verlängert werden. Trotz Niedrigzinsen sind neue oder nicht getilgte Schulden darum eine Last für kommende Regierungen und Generationen.

Nicht nur Geld ist derzeit billig, auch Öl und Gas sind es, Importe aller Art und CO2-Emmissionszertifikate. Der Grund dafür ist, dass es anderen Ländern derzeit wirtschaftlich schlechter geht als Deutschland und die Schwellenländer ihr Wachstum verlangsamt haben. Sollte sich diese Situation wieder drehen, würde das die deutsche Wirtschaft vor Herausforderungen stellen.

Der Staat sollte dann gewappnet sein, einen Abschwung abzufedern. Er könnte sich also Rücklagen bilden oder Schulden abtragen, was dafür sorgen würde, dass künftige Verschuldungen bezahlbar blieben. Oder er könnte Investitionen tätigen, die nicht sofort, sondern langfristig und nachhaltig wirksam werden. Große Infrastrukturprojekte gehören dazu; alles, was die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten reduziert; und vor allem Bildung. Das Schulsystem in Deutschland versagt noch immer darin, Kindern aus unterschiedlichen sozialen Schichten gleiche Chancen zu bieten. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Klassen sind zu groß, Lehrer werden zu wenig unterstützt, Schüler zu sehr sich selbst überlassen. Investitionen in Bildung würden der Wirtschaft kurzfristig nicht nützen, was ja auch nicht notwendig ist. Aber sie würden langfristig deutsche Unternehmen wettbewerbsfähiger machen. Im Sinne der Kinder wären sie ohnehin.

Viele der staatlichen Kassen sind gut gefüllt. Doch daraus lässt sich nicht schließen, dass die Bürger "geschröpft" seien. Wer das behauptet, übersieht, dass die wichtigen Investitionen in Bildung und Infrastruktur hauptsächlich nicht von Bürgern oder Unternehmen, sondern vom Staat getätigt werden. Der "Spiegel" verweist darauf, dass ein immer größerer Anteil des Bruttoinlandsprodukts per Steuern an den Staat abgeführt wird, die Steuerquote also steigt. Aber ist das etwas Schlimmes? In vielen entwickelten Ländern ist diese Quote deutlich höher als in Deutschland, besonders in Skandinavien. In Dänemark liegt sie gar doppelt so hoch.

Trotz der guten wirtschaftlichen Lage kann es im Einzelfall sinnvoll sein, die Steuern auch in der derzeitigen Situation zu senken. Denn das Steuersystem strotzt vor unlogischen Regelungen, Ungerechtigkeiten und zu komplexen Verfahren. Dahinter stehen viele einzelne Privilegien und Gruppen, die sich wehren, wenn man ihnen diese Privilegien nimmt. Damit sie durchsetzbar ist, sollte eine Steuerreform nicht zu viele Verlierer produzieren. Darum muss eine Steuervereinfachung meist mit einer Steuersenkung einhergehen. Auch die als ungerecht geltende Kalte Progression ließe sich wohl nur mit einer Steuersenkung abschaffen. Im Prinzip ist das auch die Aussage der aktuellen "Spiegel"-Titelgeschichte. Dort wird sogar für eine gleichzeitige Mehrwertsteuer-Anhebung geworden.

Wenn der Finanzminister seinen Spielraum nutzen möchte, um Fehler im Steuersystem zu heilen, ist das löblich. Die Einnahmen des Staates ohne Not zu mindern, wäre indessen falsch. Wer pauschal von "Erleichterungen" und "Entlastungen" spricht, hat wahrscheinlich anderes im Sinn: die Umfragewerte der eigenen Partei.

Quelle: ntv.de

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