Von Krokodils- und anderen Tränen Zwischenruf
02.02.2007, 17:07 UhrVon Manfred Bleskin
Im Untersuchungsausschuss zum tragischen Tod des kleinen Kevin in Bremen sind am Donnerstag Tränen geflossen. Tränen des Mitleids, der Verzweiflung und der Reue. Bitterlich geweint hat eine Sozialarbeiterin, die ihre Pflichten im Sinne des Wortes sträflich vernachlässigt hatte. Die Behörde war über das unmenschliche Verhalten der drogensüchtigen Eltern informiert. Unternommen wurde nichts.
Der Tod des Kleinen wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft. Weit mehr als 90 Prozent der Fälle von Kindesmisshandlung und Gewalt kommen im Armenmilieu vor, weiß der Deutsche Kinderschutzbund. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fand heraus, dass weit mehr als 90 Prozent der vernachlässigten Kinder in Familien groß werden, die von Hartz IV betroffen sind.
Sicher: Die Mehrheit wächst wohlbehütet auf, Mutter und/oder Vater kümmern sich nach bestem Wissen und Gewissen. Und Konto. Eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen hat ergeben, dass immer mehr Eltern aus Mittelschicht und Bildungsbürgertum ihre Kinder bewusst gewaltfrei erziehen, seitdem der Gesetzgeber im Januar 2000 das Recht auf gewaltfreie Erziehung eingeführt hat. Und auch in den ärmeren Familien kümmern sich viele Eltern liebevoll um ihren Nachwuchs.
Doch da gibt es eben diesen Zusammenhang zwischen der sozialen Sicherheit, dem daraus erwachsenden Blick in die Zukunft auf der einen und der Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, der Gleichgültigkeit, der Neigung zu Gewalt auf der anderen Seite. Die ökonomischen Bedingungen einer Familie als kleinster Zelle der Gesellschaft haben zudem Auswirkungen auf den Gesundheitszustand ihrer Kinder und Jugendlichen. Das Berliner Robert-Koch-Institut hat in seinem ersten so genannten Kinder- und Jugendgesundheitssurvey festgestellt, dass Armut krank macht. Dieser Zusammenhang sei eigentlich klar gewesen, hieß es. Aber die „Eindeutigkeit der sozialen Unterschiede“ habe überrascht.
Durch die Hartz-IV-Gesetze leben mehr Menschen in Armut als vor deren Einführung. Weil die Einkommen bei Empfängern des früheren Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau zusammengestrichen wurden. Das mag nicht beabsichtigt gewesen sein. Doch nicht die Absichten zählen, sondern die Ergebnisse.
Es ist bestürzend, dass der spiritus rector dieser Zustände, just als er seine Pläne ausbrütete, in schamloser Weise VW-Gelder veruntreut hat. Bestürzend ist aber auch, wie regierungsamtlich vielfach Tränen über Gewalt gegen und Armut von Kindern vergossen werden. Und wie die gesellschaftlichen Zustände, die der Gesetzgeber maßgeblich zu verantworten hat, dabei einfach in den Skat gedrückt werden. Die Tränen, die da vergossen werden, muten wie Krokodilstränen an.
Quelle: ntv.de