Person der Woche Jens Spahn und das Aufständchen der CDU
29.04.2014, 11:10 Uhr
Der Widerstand gegen die Rente mit 63 wächst in der Union. Um den Bundestagsabgeordneten Spahn fordert eine Gruppe junger CDU-Politiker von der Kanzlerin ein Umsteuern. Man probt ein bisschen Aufstand - und Mutti ist beeindruckt.
Jens Spahn ist so etwas wie der junge Hans-Christian Ströbele der CDU. Er sagt, was er denkt, selbst wenn es seiner Partei schadet. Wo andere den biegsamen Wendehals trainieren, hat er einfach Rückgrat. Politisch korrekt ist das nicht: So warnt Jens Spahn schon mal vor der Rentnerdemokratie, findet die Pharmaindustrie großartig, den Eisbecher von McDonalds ebenso oder er bekennt sich zu Homosexualität und katholischer Kirche gleichermaßen. Und genau wie Ströbele finden auch seine Wähler die Echtheit von Jens Spahn so überzeugend, dass sie ihn schon zweimal mit absoluter Mehrheit der Erststimmen in den Bundestag gewählt haben.
Einer wie Jens Spahn ist also durch Parteiräson nicht zu bändigen. Das merkt derzeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die CDU-Chefin will einen ruhig vor sich hin schlummernden Europa-Wahlkampf nicht unnötig wecken und ihre Große Koalition am liebsten aussehen lassen wie eine brave Familie bei der leise dahingeflüsterten Kommunionsfeier. Jens Spahn hingegen holt just in diesem Moment die Rockgitarre des Protests heraus. Zusammen mit zwei Dutzend jungen Unions-Abgeordneten donnert er mit einem Frontalangriff auf die Rentenreform der Regierung los.
Die Spahn-Truppe fordert eine Abkehr von der geplanten Einführung der Rente mit 63 und ein Reformkonzept "2020". In dem Papier heißt es wörtlich: "Die geplante Rente mit 63 ist das völlig falsche Signal". Im Gegenteil sollten alle, die länger arbeiten können und wollen, dies ohne bürokratische Hürden und zusätzliche Kosten mit ihrem Arbeitgeber vereinbaren können. Ziel sei eine "Flexi-Rente", die den Bedürfnissen des Einzelnen gerechter werde. Gefordert wird ferner eine Vorsorge für Rente und Pflege durch den Aufbau eines Kapitalstocks. "Eine kapitalgedeckte Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung sollte für jeden obligatorisch und Geringverdiener gezielt dabei unterstützt werden", heißt es in dem Papier.
Damit spricht Spahn das aus, was die Mehrheit der Bürgergesellschaft ohnedies denkt: Die Rückabwicklung der Agenda-Politik mit Einheits-Mindestlohn, Frührente und neuen Arbeitsmarktreglementierungen ist ein großer Fehler. Bis weit ins linke Lager hinein sind die Deutschen mittlerweile davon überzeugt, dass Gerhard Schröders Agenda 2010 Deutschland spürbar gestärkt und geholfen hat, sicher durch die Krisen der jüngsten Jahre zu kommen. Dass nun ausgerechnet eine CDU-geführte Bundesregierung diese Politik revidiert, löst nicht nur bei Jens Spahn Unverständnis aus. Nur: Er ist der Erste, der es so lautstark in die politische Arena trägt.
"Agenda 2020" gefordert
In ihrem Beschluss zur "Agenda 2020" formulieren die Spahn-Revoltistas: "Anstatt sich zu den Erfolgen der Agenda 2010 zu bekennen, will die SPD sie nun in Teilen verschämt zurückdrehen." Es sei aber eine "Agenda 2020" nötig, damit es Deutschland auch noch in zehn Jahren gut gehe. Die CDU werde daran gemessen werden. Das Papier mit dem Titel "Das Richtige tun" kommt schließlich zum Punkt: "Wir wollen nicht lediglich erreichten Wohlstand verteilen, sondern ihn jeden Tag neu erwirtschaften und mehren." Gute Wirtschaftspolitik sei die Voraussetzung für gute Sozialpolitik. "Hier liegt unser Profil als Wirtschafts- und Wertepartei."
Angela Merkel wollte das Aufständchen der U-40-CDU zunächst abbügeln. Wie weiland Helmut Kohl verlangte sie Disziplin vor dem Wahltermin. Außerdem habe jeder mit dem Koalitionsvertrag gewusst, wo die Reise hingehe. Sie ließ in Berlin verbreiten, sie sei "sauer". Das ist bei Mutti schon Warnstufe Rot.
Doch dann drehte sich die Stimmung. Denn Spahns Initiative fand in der Partei enormen Zuspruch. "Endlich sagt es mal einer", dachten viele, sehr viele Unionisten. Und selbst der sonst eher sozialbeflügelte CDU-Vize Armin Laschet bewertete die Initiative positiv: "Ich finde es gut, dass die jungen Abgeordneten die Interessen der jungen Generation artikulieren." Nahles' Pläne müssten nachgebessert werden. Das verlangt auch der CDU-Wirtschaftsflügel.
Für einen Moment drohte in der CDU richtig Ungemach, denn immer mehr Politiker vor allem aus dem Landesverband NRW schwenkten auf Spahnkurs. Am Ende war es der abermals erstaunlich geschickte CDU-Generalsekretär Peter Tauber, der die Wogen glättete. Tauber gehört selbst zu den Jungen, ist mit Spahn wie den anderen Revoltistas befreundet und machte der Kanzlerin offenbar klar, dass man den Vorstoß ernst nehmen müsse. Daraufhin bewegte sich Angela Merkel immerhin zu einem Spiel auf Zeit. Sie wolle sich um den Vorschlag von jüngeren Abgeordneten zu einer "Agenda 2020" durchaus kümmern, hieß es am Ende – aber erst nach der Europawahl. Die Anliegen seien aber sehr verständlich. Für Jens Spahn ist das ein Etappenerfolg. Doch wer glaubt, er werde nach dem 25. Mai Ruhe geben, der sollte einmal Ströbele studieren.
Quelle: ntv.de