Schwarz-Grün? "Die Situation ist völlig offen"
14.06.2009, 10:37 Uhr
"Wenn die Inhalte stimmen, kann man alles mittragen."
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Robert Zion ist Basis und Überbau zugleich: Seit dem Afghanistan-Parteitag der Grünen vom September 2007 gilt er als einer der linken Vordenker seiner Partei. Sein Parteiamt verrät nicht, welch großen Einfluss er hat: Er ist Vorstandssprecher der Gelsenkirchener Grünen. Nach der Europawahl hat er die SPD scharf attackiert. Was hält Robert Zion von Schwarz-Grün?
n-tv.de: In Ihrem Blog beim "Freitag" gehen Sie hart mit der SPD ins Gericht. Was stört Sie so an der Partei?
Robert Zion: Mich stört an denen gar nichts, mein Text ist bloß eine Analyse, die ein bisschen in die Hintergründe geht. Kern des Ganzen ist, dass der SPD ihr Fortschrittsbegriff und damit ihre Legitimation abhanden gekommen ist.

Robert Zion
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Sie sind selbst links. Was ist der Unterschied zwischen Ihrem Links-Sein und dem der Sozialdemokraten?
Die Sozialdemokratie ist noch immer in diesem alten Denken gefangen, das noch auf die Diskussion zwischen Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein zurückgeht: Reform oder Revolution. Ich halte das für eine Scheinalternative. Beim ökonomischen und beim sozialen Fortschritt geht es mittlerweile um einen Transformationsprozess der Gesellschaft. Das hat die SPD noch nicht begriffen, was nicht zuletzt ihr Arbeitsbegriff zeigt, der nach wie vor die industriegesellschaftliche Normarbeit ins Zentrum stellt. Das war ja auch der zentrale Fehler der Agenda 2010. Das ist wirklich tragisch, weil gerade hier progressive Potenziale für eine linke Partei liegen könnten: den Wandel der Arbeitsgesellschaft so zu organisieren, dass das, was ohnehin passiert, sich auch politisch ausdrücken kann.
Wieso schafft die SPD das nicht?
Sie hat keine Analyse der Gesellschaft mehr. Sie hatte mal Ansätze dazu, Peter Glotz etwa war einer, der das sehr genau verstanden hat. Aber Sozialdemokraten vom Schlage Müntefering, Steinmeier und Struck fehlt dazu einfach die Weite. Wir leben in einer stark individualisierten Gesellschaft mit völlig neuen Arbeitsformen. Das bedeutet, dass man die Sozialversicherungssysteme universalisieren, also für alle eine gemeinsame Basis schaffen muss. Für einen solchen Schritt sind die Sozialdemokraten zu sehr in ihrer Tradition gefangen.
Sie schreiben, dass die SPD in den Großstädten als progressive Kraft abgelöst wird von den Grünen. Wollen Sie, dass die Grünen die SPD verdrängen?
Das sollte unser neues Ziel sein in den Großstädten, ja. In den Metropolen gibt es ein neues Bürgertum, das mit dem alten Bürgertum nicht mehr zu vergleichen ist. Das alte Bürgertum konnte man in Verdienstgruppen und Habitusformen einteilen; das neue Bürgertum ist linksliberal, kennt den Wandel der Arbeitsgesellschaft, die Individualisierung, teilweise auch die Prekarisierung, und pflegt zugleich einen bewussteren Lebensstil. Dazu passt der industriegesellschaftliche Normbegriff der SPD einfach nicht. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die CDU in den Städten genauso große Probleme hat, sich zu modernisieren. Denn die alten Institutionen wie Familie und Kirche, um die sich die CDU früher gruppiert hat, sind ja auch auf dem Rückzug.
Sie schreiben auch, es sei "nahezu ausgeschlossen", dass die SPD in den sich verschiebenden parteipolitischen Koordinaten "noch eine positive und aktive Rolle einnehmen wird" - und Sie empfehlen der SPD acht Jahre Opposition. Folgt daraus nicht zwangsläufig, dass sich die Grünen einen anderen Partner suchen müssen?
Dass ist mir zu machtmechanisch gedacht. Ich glaube, die politische Landschaft wird sich verändern, sie verändert sich gerade in ganz Europa. Nach dieser Krise werden bestimmte Dinge einfach nicht mehr gültig sein - zum Beispiel, dass man beständig Wachstum generiert und über dieses Wachstum den Wohlstand verteilt. Die Parteien, die diesen Prozess verstehen und die Lösungskonzepte anzubieten haben, werden als Gewinner daraus hervorgehen. Die beste Entwicklung wäre die, dass wir uns wieder daran erinnern, dass wir eine Legislativdemokratie sind und keine Exekutivdemokratie; vielleicht wird dann möglich, was derzeit noch undenkbar ist: dass auch hierzulande, wie in Skandinavien, mit wechselnden Mehrheiten regiert wird.
Die nächste Bundestagswahl ist aber schon in drei Monaten. Die Europawahl hat die Perspektive eröffnet, dass die Grünen stärker werden könnten als die FDP und dass die beiden Alternativen für die Union am Ende Schwarz-Grün und Schwarz-Rot lauten könnten.
Wir haben auf unserem Parteitag ganz klar gesagt, dass wir das von den Inhalten abhängig machen, und wir haben da auch die Bedingungen formuliert. Alles andere sollte uns nicht interessieren.
Aber könnten Sie Schwarz-Grün mittragen? Gerade für viele linke Grüne ist die CDU doch das klassische Feindbild.
Wenn die Inhalte stimmen, kann man alles mittragen, natürlich. Angesichts der Programmatik der CDU halte ich das aber für ausgeschlossen. Das Entscheidende ist, dass wir in dieser Umbruchphase als Grüne eine Wiedergeburt als Programm- und Konzeptpartei erlebt haben. Schaut man in die Programmatik, die wir in den vergangenen zwei Jahren erarbeitet haben, sieht man, dass die Grünen bestimmte Ansprüche, die sie in den 80er Jahren erhoben haben - nämlich einen alternativen Gesellschaftsentwurf vorzulegen - jetzt wieder einlösen. Um Ihre Frage zu beantworten: Die politische Situation ist vollkommen offen. Und wir können es uns mittlerweile wieder leisten zu sagen: Wenn man uns braucht, haben wir eine Lösung für das Land anzubieten, bei der bestimmte Bedingungen einfach erfüllt sein müssen. Wenn nicht, gehen wir halt in die Opposition.
Wäre es nicht denkbar, dass ein Koalitionspartner Ihnen beispielsweise im Bereich Klimaschutz entgegenkommt und Sie dafür hinnehmen, dass auf anderen Feldern nicht grüne Politik gemacht wird?
So einfach ist das nicht. Wir haben ein ganz ähnliches Problem wie in der Zeit nach 1929, als Präsident Roosevelt in den USA den "New Deal" entwickelte. Wir müssen jetzt ähnliches tun, nämlich den Produktivitätsfortschritt und den daraus entstandenen Reichtum in gesellschaftliche Wohlfahrt übersetzen. Heute müssen wir zudem noch die Industriegesellschaft ökologisch umbauen. Die Punkte, die unbedingt erfüllt sein müssen, sind: Die Vermögensbesitzer müssen einen größeren Anteil zum Umbau dieser Gesellschaft leisten; neue Arbeit muss in den sogenannten "Humansektoren" entstehen, also Wissenschaft, Soziales, Gesundheit, Pflege, Kultur, Bildung; wir müssen die Schrumpfungsprozesse nutzen, damit die Wirtschaft in einem neuen Wachstumszyklus auf die richtige Art und Weise wächst, wir müssen auf ökologische Produkte und Dienstleistungen umstellen. Das alles sind ja nicht nur Fragen, die mit unserem grünen politischen Willen zu tun haben - das sind gesellschaftliche Notwendigkeiten. Geschieht das alles nicht, wird die nächste Regierung nur das Elend verwalten.
Wann, glauben Sie, werden die Grünen wieder an einer Bundesregierung beteiligt sein?
Das weiß ich nicht.
Interessiert Sie das gar nicht?
Ich weiß es einfach nicht. Natürlich, die Zeiten, in denen wir Fundamentaloppositionspartei waren, die sind vorbei. Aber es hängt nicht nur von uns ab. Es hängt vor allem davon ab, ob die großen Parteien von ihrer Grundeinstellung abrücken, in dieser Republik werde alles so bleiben, wie es schon immer war; ob sie verstehen, dass es in Zukunft nicht mehr so sein wird. Davon hängt es ab, ob die Grünen und mit wem die Grünen regieren können.
Mit Robert Zion sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de