Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Das Verdienst der CDU: Demokratie ist keine Formalie

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Olaf Scholz am Mittwoch ohne Bierhelm beim Sommerfest der SPD-Fraktion. "Laptop wieder auf, die Arbeit ruft" gilt aber auch ohne Bierhelm.

Olaf Scholz am Mittwoch ohne Bierhelm beim Sommerfest der SPD-Fraktion. "Laptop wieder auf, die Arbeit ruft" gilt aber auch ohne Bierhelm.

(Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Ein CDU-Abgeordneter hat der Ampel die Sommerpause versaut und Munition für die Landtagswahlen beschafft. Doch das ist längst nicht alles.

Sie kennen das: Gerade haben Sie sich fertig eingecremt, das Bändchen sitzt sicher am Handgelenk und mit dem Barkeeper am Pool-Tresen haben Sie auch schon getränkebestellende Blicke getauscht. Da vibriert die Smartwatch - Kacke, eine Mail vom Chef. Bierhelm ab, Laptop wieder auf, die Arbeit ruft.

Eine gigantische Version dieser Urlaubsmalaise hat am Mittwochabend das Bundesverfassungsgericht aufgetischt. Das politische Berlin trank Bier, Wein und Champagner auf zahllosen Abendempfängen vor der Sommerpause, man sprach über dieses und jenes Nischenvorhaben, das Elterngeld, die Ampel - da brummten die Eilmeldungen in den Anzugsinnentaschen: "Gebäudeenergiegesetz darf nicht vor der Sommerpause beraten werden".

Die Koalition müsse sich ordentlich Zeit nehmen für das Heizungsgesetz, so lautet in der groben Kurzfassung der Beschluss des höchsten deutschen Gerichts. Es könnte dann zwar mit dem Zeitplan eng werden, räumten die Richter ein, aber dann müsse man eben in der Sommerpause tagen - Pech, Augen auf bei der Berufswahl.

Union und AfD im Glück

Die Reaktionen auf diese absolut unerwartete Ermahnung aus Karlsruhe ließen nicht lange auf sich warten. In der Union schimpfte man, das Bundesverfassungsgericht mische sich zu sehr in die Politik ein, sei aber "nicht der bessere Gesetzgeber". Das Gericht geriere sich als "Akteur in der Politik", schimpfte die AfD. Ah, Moment, stimmt gar nicht, das waren ja Stimmen der Konservativen und Rechtsextremen, als die Karlsruher Richter vor Jahren etwas ganz anderes entschieden haben. Da muss ich bei der Recherche verrutscht sein! Großes Sorry!

Diesmal hat Karlsruhe die Oppositionsparteien nämlich völlig verzückt, schließlich ging es ja gegen die Ampel: CDU-Chef Friedrich Merz lobte, das Gericht werde das "Ansehen" der Politik anheben. Die AfD jubelte, "Verfassungsgericht gibt uns Recht!", was interessant ist, denn es waren lediglich einige Abgeordnete der Partei beigetreten, noch dazu gegen den Willen des Klägers, des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann. Aus der Union hatte sich im Vorwege niemand an seine Seite gestellt. Heilmann ist nun "CDU-Held für ein paar Tage" (F.A.Z.), eine gesuchte Selfie-Dekoration - Heilmann, wie geil, Mann!

Aber so ist das mit Überraschungen aus Karlsruhe: Man muss geschwind einen Dreh finden, die Wahrheit gerät da zur Nebensache - und was man noch vor ein paar Jahren Karlsruhe vorwarf, ist auf einmal vergessen. Genauso falsch war es übrigens, dass andere die Entscheidung als Rettung vor dem "Heizungshammer" feierten. Die "Bild"-Zeitung zitierte sogar "die stärksten Sätze" - was angesichts der relativsatzreichen Ausführungen ein journalistischer Klimmzug ist. Jedenfalls wirkt es, als habe das höchste deutsche Gericht gegen den Ampelwahnsinn gerade noch die Notbremse ziehen können.

Keine Entscheidung zum Heizungsgesetz

Die Entscheidung ist aber kein Urteil, nur ein Beschluss. Was formaler klingt, ist es auch: Die Richter haben nichts zum Gebäudeenergiegesetz entschieden, sie haben nicht einmal darüber entschieden, ob die Koalition zu eilige Zeitpläne schmiedet. Die Richter haben lediglich abgewogen, wie sie sich weniger schlimm irren könnten: Die Sache fälschlich laufen zu lassen oder fälschlich einzugreifen? Sie entschieden sich für Letzteres - und griffen ein.

Manche sahen nun das Parlament gestärkt. Auch das ist zweifelhaft. Denn tatsächlich hat das Gericht sich vor allem eingemischt, in Parlamentsangelegenheiten nämlich. Die Richter haben zwar den Parlamentariern zu ihrem Recht auf ausreichend Zeit mit dem Gesetzentwurf verholfen - aber auf der anderen Seite ihre Rechte beschnitten, eigene Zeitpläne zu schmieden.

Angesichts der Stimmung im Land gegen den Heizungshammer war es geradezu todesmutig, dass Rechtsjournalisten von der "Süddeutschen" und "Legal Tribune Online" auf diesen Aspekt hinwiesen. Denn "mit Eingriffen ins politische Timing" werde das Gericht "leicht selbst zum politischen Akteur", schrieb Wolfgang Janisch. Klingt wie die CDU-Kritik von damals. "Das Bundesverfassungsgericht wird übergriffig", befindet auch Hasso Suliak von LTO und klingt wie die AfD in der Pandemie. Schillerndes Karlsruhe!

Eine unbequeme Wahrheit

Was bleibt also? Heilmann hat den Finger in eine still vor sich hin nässende Wunde gelegt: Wir bekommen Gesetze, die nicht ordentlich gelesen wurden. Die Demokratie ist angesichts der Eile und Komplexität vieler Vorhaben bisweilen wirklich zur "Formalie" geworden. Mit dem Begriff der formalen Demokratie hat der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger gerade die Grünen-Landtagsabgeordnete Katharina Schulze provoziert. Hier jedoch stimmt Aiwangers Schmähung, auf eine subtile, papierene Art: Dass alle Abgeordneten im Bundestag bei der Abstimmung ein Gesetz durchdrungen haben, war zwar schon immer eine wilde Fantasie - aber wenigstens Fachpolitiker sollten den Stoff verstehen können.

Die Zeit ist inzwischen aber immer knapper bemessen, sowohl für parlamentarische Beratungen wie auch für die Erörterung mit Verbänden. Auf deren - freilich interessengefärbte - Expertise ist die Politik schlicht angewiesen, das gilt für die in der Öffentlichkeit gern als "gut" empfundenen Lobbyisten, also etwa Verbraucherschutz- und Umweltverbände, wie für die vermeintlich "bösen", also die Industrievertreter.

Die Jahreskonferenzen der Verbände hören sich daher inzwischen über die Jahre und Branchen hinweg erstaunlich gleich an: Beklagt wird stets, dass keine Zeit bleibt, die dicken Konvolute überhaupt zu studieren - manchmal muss ein Wochenende reichen.

Ganz oder teilweise unterm Radar

Zugegeben: Es gibt Demokratieprobleme, die sexier sind. Der Verlust von Vertrauen in Institutionen etwa, die sinkende Wahlbeteiligung, der Elitenargwohn, Anschläge auf Abgeordnetenbüros. Doch wenn Gesetze aus schnöder Zeitnot ganz oder teilweise unterm Radar laufen, ist auch das eine echtes Problem, auch wenn wir die Auswirkungen erst spät spüren.

Womöglich hat der CDU-Politiker also nicht nur der Union ein Wahlkampfthema für den Sommer und die anstehenden Landtagswahlen beschert. Klar: Die Regierung Scholz wird diesen Makel nicht so schnell wieder los. Die Erzählung, die da in Berlin würden über die Köpfe des Volks, sogar der Volksvertreter hinwegregieren, erhält nun frische Nahrung.

Die elende Debatte um die Heizungen hat aber dann doch noch etwas Nützliches: Gute Gesetze brauchen Zeit. Gerade dann, wenn es ums Klima geht.

Quelle: ntv.de

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