Pressestimmen

Eskalation am Nil Ägypten "hat keine große Wahl"

Wut dominiert Kairo.

Wut dominiert Kairo.

(Foto: dpa)

Ägypten ist zu einem Pulverfass geworden, der Ausgang der Revolution ist ungewiss. Die Islamisten halten still - noch. Die Presse bezweifelt, ob el Baradei die Bevölkerung für sich gewinnen kann. Der Westen fordert weiter demokratische und wirtschaftliche Reformen. Doch sollte er auch endlich sagen, auf wessen Seite er steht.

"Die Folgen für Ägypten wären unabsehbar, wenn das Regime Mubarak fiele. Allerdings auch unabsehbar, was geschähe, wenn die Rufe nach Demokratie doch wieder nur niedergeknüppelt würden", vermutet der Wiesbadener Kurier und nimmt weiter an, dass der Extremismus in jedem Fall sehr wahrscheinlich zunehme. "Die ägyptischen Islamisten, eine gut organisierte Bevölkerungsgruppe, warten ab und halten sich auch aus den Protesten heraus. Aber wohl kaum auf Dauer. Das Land am Nil hat keine große Wahl. Wenn nicht jetzt ohne Blutvergießen, werden die Machtverhältnisse früher oder später mit Gewalt ­ aber ohne Demokratie ­ geklärt werden."

Die Berliner Zeitung vergleicht die Situation in Kairo mit dem Sturz des russischen Zaren, des Schahs von Persien, des kongolesischen Despoten: Das zeige, "wie schnell ein Aufbruch im Desaster endet. Diktator weg, nichts wird gut, vielmehr schlimmer als zuvor." Aufgrund der Bilder von zuversichtlichen Demonstranten aus Ägypten fürchte der Westen ebenso wie Nachbarstaaten dieses Szenarium. Denn "niemand weiß, was auf Mubarak folgen könnte. Geradezu beschwörend sprechen Barack Obama und seine Kollegen von Reformen, von Wandel nicht aber von Regimewechsel. Ja, Ägypten soll moderner werden. Vor allzu eiferndem Vorwärtsstürmen warnt die Geschichte."

Für die Braunschweiger Zeitung könnte Ägypten ebenfalls zu einer Brandfackel entwickeln, "zumal es über die gegenwärtigen Proteste der Bevölkerung hinaus alte Rechnungen gibt, auf deren Begleichung islamistische Kräfte seit Jahren hinarbeiten. Es ist der von dem später ermordeten Präsidenten Anwar al-Sadat in den 1970er Jahren betriebene Ausgleich mit Israel, dessen Kühnheit noch heute Hochachtung gebietet. Sadats Nachfolger hat das Erbe der Versöhnung nicht angetastet; er könnte es allerdings durch seine kurzsichtige Innenpolitik verspielt haben. Das Volk musste darben - und wer hungert, ist nicht für Visionen, sondern nur für Ideologien zu haben."

Ägypten sei auch in den Augen der Westfälischen Nachrichten zu einem "Pulverfass geworden". Dabei könnte "Mubarak-Herausforderer el Baradei (…) aus westlicher Sicht zwar zum Hoffnungsträger werden, aber ist er das auch für die Ägypter?" Letztlich werde die Armee "über das Schicksal des Präsidenten entscheiden. Spannend ist die Frage, welchen Einfluss die USA darauf nehmen können."

Auch der General-Anzeiger sieht in el Baradei keinen Führer der ägyptischen Revolution. "Sie will Demokratie und in ihrem Gefolge eine bessere Zukunft. Sie ist nicht das Werk blindwütiger Religionsfanatiker (im Gegenteil: Die profitieren, wo immer es sie gibt, von Not und Unterdrückung). Und deshalb ist es gut, wenn die USA und in ihrem Gefolge die EU jetzt klar sagen, an wessen Seite sie stehen."

Das meint auch die Wetzlarer Neue Zeitung: "Um des Friedens willen müssen sie [der Westen, Anm. der n-tv Red.] auf ihren Partner Mubarak einwirken, denn wirtschaftliche und demokratische Reformen sind überfällig. Die jungen, ausgebildeten Menschen brauchen eine Perspektive. Ebenso wichtig für einen demokratischen Aufbruch ist aber gleichzeitig die geordnete Ablösung Mubaraks. Ob der bekannteste Oppositionelle Ägyptens, Mohammed El Baradei, der Mann für den demokratischen Aufbruch im Land der Pharaonen ist, muss sich zeigen. Es hängt davon ab, ob er die verschiedenen Protestgruppen einen und im Volk mehr Vertrauen als die Islamisten gewinnen kann."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Julia Kreutziger

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