Pressestimmen

Erdogan provoziert Bundesrepublik "An Brisanz schwer zu übertreffen"

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Zum 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland fallen nicht nur freundliche Worte. Vor allem die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten sorgen bei den Kommentatoren der deutschen Presse für Entrüstung: Erdogan wirft Deutschland vor, Fehler bei der Integration zu machen und die Türkei nicht ausreichend beim angestrebten EU-Beitritt zu unterstützen. Zudem wendet er sich scharf gegen die verlangten Sprachkenntnisse für den Zuzug von Familienangehörigen: "Wer Deutschkenntnisse zur wichtigsten Voraussetzung erklärt, verletzt die Menschenrechte", so Erdogan.

Erdogan auf dem Festakt anlässlich des 50. Jubiläum des deutsch-türkisches Anwerbeabkommens. Das Abkommen geschlossen worden, um dringend benötigte Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen.

Erdogan auf dem Festakt anlässlich des 50. Jubiläum des deutsch-türkisches Anwerbeabkommens. Das Abkommen geschlossen worden, um dringend benötigte Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen.

(Foto: dpa)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bescheinigt Erdogan, ein "politisches und rhetorisches Schwergewicht" zu sein, weshalb es sich lohne "jedes seiner Worte auf die Goldwaage zu legen". Für die  Tageszeitung aus Hessen ist das, was der türkische Ministerpräsident zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens gesagt hat, "an Brisanz schwer zu übertreffen, sprach er doch über nicht weniger als drei Millionen Menschen in Deutschland. Von ihnen sind (…) ein Viertel, gar ein Drittel deutsche Staatsangehörige, also Bürger, für die überhaupt nicht Erdogan, sondern Bundeskanzlerin Merkel und die deutsche Bundesregierung zuständig sind". Die Kommentatoren aus Frankfurt sind sichtlich verstimmt: "Dass er für mehr als zwei Millionen in Deutschland lebende türkische Staatsbürger die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit fordert oder diplomatisch verklausuliert 'vorziehen würde', ist der Versuch der Bevormundung des deutschen Staates".

Für die Ludwigsburger Kreiszeitung ist "dieses immer wiederkehrende Spielchen" vor den Deutschlandbesuchen einfach nur "durchschaubar und peinlich". Erdogan gehe es "lediglich um Stimmungsmache in eigener Sache, die vor allem innenpolitisch motiviert" sei. Offensichtlich brüskiert stellt das Blatt fest: "Gleichwohl nimmt der Premier in Kauf, dass er mit seinen Verbalattacken Ressentiments schürt. Er tut den türkischen Einwanderern damit aber keinen Gefallen, von denen zahlreiche in den letzten 50 Jahren versucht haben, ihren Platz in Deutschland zu finden. Und er ist damit respektlos den Deutschen gegenüber, die sich um Integration und Miteinander bemüht haben. Nicht immer fehlerfrei. Das stimmt. Aber es gibt auch zu viele Einwanderer, die sich diesem Prozess bisher heute verweigern".

Auch die Märkische Oderzeitung reagiert verstimmt auf die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten. Sie wirft den Blick auf ein weiteres Thema, das die deutsch-türkischen Beziehungen belastet - den Waffengang der Türkei gegen die PKK: "Erdogan und andere türkische Spitzenpolitiker behaupten: die PKK habe hierzulande mehr Mitglieder als im Nordirak, bekomme sechs Milliarden Euro aus Deutschland und werde sogar von deutschen Stiftungen finanziert". Für die Zeitung aus Frankfurt/Oder sind das "gelinde gesagt, sehr unfreundliche Behauptungen, die zwar für die türkische Innenpolitik gedacht sind, aber natürlich auch nach außen wirken".

Der Donaukurier ist um Einfühlungsvermögen bemüht: "Die deutsche Gesellschaft verkennt das Potenzial der Deutsch-Türken immer noch, Erdogan hingegen umwirbt sie. Das Ergebnis: Immer mehr gut ausgebildete junge Migranten kehren in die Türkei zurück - dort erfahren sie die Wertschätzung, die sie in Deutschland nicht bekommen". Für Deutschland sei das fatal, stellt das in Ingolstadt herausgegebene Blatt fest: "Die Erfolgreichen können wir nicht halten, zurück bleiben die Schulabbrecher. (…) Ganz unrecht hat Erdogan also nicht, wenn er die deutsche Integrationspolitik tadelt. Nur: Türkische Gymnasien und Einwanderung ohne Deutschkenntnisse sind ganz bestimmt keine Lösung. Konstruktive Vorschläge hat Erdogan nicht zu bieten. Das Wohl und Weh der türkischen Migranten in Deutschland liegt ihm eben auch nur bedingt am Herzen".

"Es kommt nicht nur darauf an, was jemand sagt, sondern auch darauf, wer etwas sagt", ist in der tageszeitung (taz) zu lesen: "Einem Porschefahrer wird man einen  flammenden Appell zu umweltfreundlichem Verhalten kaum abnehmen, ein Metzger gibt einfach keinen guten Vegetarier ab und eine  Gehörlose keine gute Musikkritikerin. Allen drei fehlt dieselbe  Sache: Glaubwürdigkeit". Und so sei Erdogan auch kein "glaubwürdiger Anwalt der Deutschtürken": "Mit seiner Tirade gegen die  Assimilation als 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit' hat er gezeigt, worum es ihm geht, wenn er über sie redet: In nationalistischer Tradition ist er ein typischer Verfechter von Türkentum und islamischer Religion". Die Zeitung aus Berlin schafft klare Fronten: "Nein, Herr Erdogan, wir gehören  nicht zusammen".

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Susanne Niedorf-Schipke

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