Schäubles Pläne zur Fiskalunion "Angst vor dem EU-Superstaat"
16.10.2012, 21:06 Uhr
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fordert eine Umstrukturierung der Fiskalunion.
(Foto: dpa)
Wenige Tage vor dem EU-Gipfel stößt Wolfgang Schäuble eine Debatte zur EU-Vertragsveränderung an. Mit seinem Vorschlag zur Organisation der Fiskalunion fordert der Bundesfinanzminister unter anderem Eingriffsrechte des EU-Währungskommissars in nationale Haushalte und eine Stärkung des Europäischen Parlaments. In der EU-Kommission reagiert man zurückhaltend auf Schäubles Ideen. EU-Kommissionspräsident Barroso gehen die geforderten Reformen zu weit. Auch die Presse reagiert überwiegend kritisch auf die Äußerungen des Ministers.
Die Stuttgarter Zeitung äußert den Verdacht, Schäubles Vorstoß sei ein Ablenkungsmanöver. Er wisse sehr wohl, kommentiert die Zeitung, "dass der vorangegangene EU-Gipfel mit Einwilligung der Kanzlerin einen Fahrplan festgelegt hat: Erst im Dezember soll es darum gehen, welche Form die Inhalte annehmen, die in dieser Woche vorbereitet werden". Das Eurobudget, welches der Währungskommissar möglicherweise verwalten würde, werde von Schäuble bewusst nicht an die große Glocke gehängt: "Noch kursieren keine konkreten Beträge, doch ist klar, dass hier eine Berliner Idee, mit der die in Deutschland so vehement abgelehnten Eurobonds umschifft werden sollen, über die Brüsseler Bande zurückgespielt wird. Da könnte man schon Interesse haben, ein anderes Thema zu setzen."
"Es stimmt, dass die Krise nach mehr Europa verlangt", kommentiert die Rhein-Zeitung, fügt jedoch hinzu, dabei sei Augenmaß gefordert: "Jeder weitere Schritt muss demokratisch kontrolliert und legitimiert sein. Sonst verlieren die Berufseuropäer ihre Bürger auf dem Weg zur politischen Union vollends." Im Falle einer Missachtung dieses Grundsatzes laufe man Gefahr, so die Zeitung weiter, wie bereits bei der EU-Verfassung an den Völkern der Europäischen Union zu scheitern: "Niederländer und Franzosen brachten das Prestigeprojekt per Referendum zu Fall - aus Angst vor dem EU-Superstaat."
Der Tagesspiegel betont, dass von den Vorschlägen Schäubles eine Gefahr der Herausbildung einer Zweiklassendemokratie ausgehe: "Wolfgang Schäuble verfolgt die Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten konsequent bis ins Parlament. Doch er läuft damit Gefahr, nicht nur das EU-Parlament, sondern auch die EU dauerhaft zu spalten. Was würden die Deutschen von einem Bundestag halten, in dem etwa Abgeordnete aus dem Saarland oder aus Bayern nicht abstimmen dürfen, wenn ein Gesetz sie nicht betrifft?" Die Briten, so der Tagesspiegel weiter, "werden seine Thesen nicht als Angebot empfinden, sondern als Aufforderung zum Gehen. Warum aber sollten sie dann einer Vertragsänderung zustimmen?"
"Selbst wenn man die brisante Frage, ob das Bundesverfassungsgericht einen derart weitreichenden Eingriff in die Haushaltsgewalt des Bundestages billigen könnte, einmal beiseite lässt, wirkt dieses Signal auf die übrigen Regierungen", meint der Mannheimer Morgen. Deutschland gebe den EU-Mitgliedsländern damit zu verstehen, so die Zeitung, es sei bereit sich auf eine Fiskalunion mit gleichen Regeln und Maßstäben für alle einzulassen. Dies sei vor allem an die Spekulanten gerichtet und solle klarstellen: "Lasst die Finger vom Euro. Wir sind stärker." Jedoch sei der Preis für eine derart eng zusammengewachsene Gemeinschaft hoch: "Faktisch würde diese Union zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Der Euro, der als Integrationsprojekt gestartet wurde, würde zu einem Instrument der Trennung."
Wenig kritisch äußern sich die Westfälischen Nachrichten: "Schäuble spielt den Vordenker - Merkel die Macherin. Raus aus der Sackgasse, heißt die Devise. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel wollen sie der Europa-Idee neuen Schub verleihen. Nicht jeder wird von dem überraschenden Vorstoß begeistert sein. Zweifler gibt es von Berlin bis Madrid. Ob die Flucht nach vorn gelingt? Da muss selbst so mancher überzeugte Europäer noch über den eigenen Schatten springen."
Der Reutlinger General-Anzeiger lobt ebenfalls den Vorschlag Schäubles und resümiert: "Solche Vertragsänderungen wären der verantwortlichere Weg. Aber politisch sind sie kaum durchsetzbar - wohl auch nicht in Berlin."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Aljoscha Ilg