Merkel und die Euro-Krise "Auf Reisen, ohne das Ziel zu nennen"
15.12.2010, 20:38 UhrDer Euro ist in Gefahr. Es wäre eigentlich dringen an der Zeit, ohne zu zögern Perspektiven aufzuzeigen. Diese Erwartung aber erfüllt Kanzlerin Merkel nicht – ebenso wenig wie ihre europäischen Kollegen, die allesamt kopf- und planlos agieren und überwunden geglaubte Ressentiments schüren.
Merkels Rede solle zeigen, dass "Madame Non im Herzen doch eine Europäerin ist". Sie sprach "vom Vermächtnis der Kriegsgeneration und der Freiheitsidee der europäischen Einigung …; davon, dass niemand in Europa alleingelassen werde." Für den Berliner Tagesspiegel aber liegen zwischen den "wohlklingenden Worten" und dem politischen Handeln von Merkel Welten. "Nicht nur hat sie wiederholt Unsicherheit an den Finanzmärkten geschürt und so die Schuldenkrise verteuert, sondern sie versäumt es, eine europäische Perspektive zu entwickeln und zu vertreten. Die Kanzlerin macht sich auf die Reise, ohne das Ziel zu nennen."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erkennt in der Regierungserklärung eine historische Parallele, denn Merkel zählte neun Punkte auf: "Eine, ob gewollt oder ungewollt, deutliche Anspielung auf Kohls Zehn-Punkte-Plan vom 28. November 1989. Als wie tief muss Frau Merkel die Krise empfinden, dass sie vor einer solchen Vergleichbarkeit nicht zurückschreckte? Das Fehlen eines zehnten Punktes zeugt dabei von Selbstbescheidung gegenüber geschichtsmächtigen Dekalogen, aber auch von der Ahnung, dass die Wirkung ihres Kataloges ungewiss ist. Kohl konnte damals in seinem letzten Punkt auf die Unterstützung unserer Freunde und Partner hinweisen. Gerade diese bleibt Frau Merkel versagt: Außer dem französischen Präsidenten hat sie keine Handvoll Partner, die sich öffentlich auf ihre Seite stellen."
"Merkel ist nicht weniger europa-patriotisch als andere", nimmt die Märkische Allgemeine aus Potsdam die Kanzlerin in Schutz, denn "der größte Vorteil der Euro-Bonds ist zugleich auch ihre Schwäche. Denn gemeinsame Schulden heißt: gemeinsamer Zinssatz. Damit würde Berlin draufzahlen, während Euro-Wackelkandidaten günstiger an frisches Geld kämen. Das wäre sogar noch hinzunehmen, wenn der Euro dadurch stabilisiert werden könnte. Tatsächlich aber würden neue Anreize zum Schuldenmachen geschaffen. Und noch viel schlimmer: Mit den Euro-Bonds wären die Euro-Länder endgültig auf Gedeih und vor allem auch auf Verderb verkoppelt. Machen in einer künftigen Konjunktur-Flaute mehrere Euro-Länder über Gebühr Schulden, so steht dann der Euro als Gesamtwährung im Feuer der Finanzmärkte. Das kann auch in Brüssel niemand wollen."
Der General-Anzeiger aus Bonn schreibt: "Erst, wenn das gemeinsame Wirtschaften Realität ist, könnte man sich sinnvoll auch gemeinsam verschulden. Das Rezept heißt also, erstens, auch wenn es unpopulär ist: mehr Europa. Und zweitens: Sich an das halten, was man beschlossen hat. Die Bundesregierung ist da, was die Verschuldung angeht, kein gutes Beispiel."
Es sei erschreckend, wie längst überwunden geglaubte Ressentiments in der Euro-Debatte wieder hochkochen, findet der Münchner Merkur: "Hier die reichen Deutschen, die Europa mit ihrer Wirtschaftskraft unterjochen wollen; da die Südländer, die sowieso noch nie mit Geld umgehen konnten. …. Halten wir unsere vermeintliche Festung Europa schon nach wenigen Schüssen aus Spekulanten-Kanonen für sturmreif? Statt die Reihen zu schließen und gemeinsam die Angriffe abzuwehren, zeigen sich Europas Staatenlenker öffentlich kopf- und planlos."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Katja Sembritzki