Putin bei Hannover Messe Auf die Balance kommt es an
08.04.2013, 21:39 Uhr
Es ging auch manchmal heiter zu: Putin und Merkel auf der Hannover Messe.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Besuch des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin auf der Hannover Messe dient in erster Linie der Vertiefung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Doch angesichts der Durchsuchungen deutscher Stiftungen in Russland kam Kanzlerin Angela Merkel um eine Stellungnahme zur politischen Situation in Putins Reich nicht umhin. Deren Bewertung fällt in deutschen Tageszeitungen unterschiedlich aus.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist überzeugt, dass "keine noch so deutlichen Worte einer westlichen Regierung Putin dazu bringen" würden, "plötzlich demokratische Regeln zu achten." Dafür stünde für die russische Führung sowie für Putin selbst zu viel auf dem Spiel. Dennoch hält sie die Kritik der Kanzlerin für "ein wichtiges Signal: zum einen an den Kreml, der sich ohne solche Ermahnungen vielleicht nicht einmal mehr bemühen würde, den demokratischen Schein zu wahren, zum anderen auch an diejenigen Personen und Gruppen in Russland, die demokratische Werte teilen." Dabei käme es auf die richtige Balance an, heikle Themen dann anzusprechen, wenn Moskau selbst große Interessen verfolgt: in Wirtschaftsfragen.
Die Wirtschaftsvertreter selbst sieht hingegen die Hannoversche Allgemeine Zeitung in der Pflicht: "Auf die Menschenrechte in Russland zu pochen ist in erster Linie Aufgabe der Politik. Ganz aber kann sich die Wirtschaft nicht wegducken." Denn wenn heute gern von nachhaltiger Produktion die Rede ist, dann kämen auch die politischen Standards im Investitionsland in den Blick. "Wer sagt denn, dass ein Abschluss scheitert, wenn es zuvor einen Hinweis auf die politischen Verhältnisse im Land gibt? Die Metallarbeitgeber aus Niedersachsen sind mit gutem Beispiel vorangegangen und haben das russische Vorgehen gegen die Stiftungen kritisiert. Danach kann man ja immer noch intensiv über Maschinenbau reden."
"Putin hat in einem ARD-Interview bewiesen, mit welch paranoiden Hirngespinsten sich Russlands Machtelite umgibt", befindet hingegen die Rhein-Zeitung aus Koblenz. "Eine Milliarde Dollar seien in vier Monaten aus dem Ausland an 654 russische NGOs geflossen, behauptete der Kremlchef allen Ernstes." Wer zu solchen Behauptungen schweigt oder sogar gute Miene zum bösen Spiel macht, fördere nicht die Interessen der deutschen Wirtschaft. "Er bekräftigt lediglich Putins Repressionskurs und beschädigt die eigene Glaubwürdigkeit."
Ähnlich kritisch gibt sich die Tageszeitung Die Welt, die eine Verantwortung vor allem bei Russlands staatsnahen Medien sieht: "Demokratische Werte werden als ein Fremdkörper dargestellt, als ein Virus aus dem Westen. Dabei wächst in Russland eine Mittelklasse, die sich aus anderen Quellen informiert." Viele dieser Russen wollten Meinungsfreiheit und mehr Einfluss auf das politische Leben. Und für viele seien westeuropäische Länder wie Deutschland immer noch ein Vorbild. "Wenn nun der Westen seine eigenen Werte verrät und sie gegen pragmatische Interessen eintauscht, was bleibt dann den Menschen, die demokratische Veränderungen vorantreiben wollen?"
Putins derzeit gestärkte Verhandlungsposition hebt die Märkische Oderzeitung hervor: "Russlands wirtschaftliche Stärke führt dazu, dass Kremlchef Wladimir Putin in Hannover über die Kritik an den Menschenrechten in seinem Land mit einem nonchalanten Lächeln hinwegsehen kann." Dieser wisse ganz genau, dass die deutschen Unternehmen gerade jetzt - in einer Phase der allgemeinen europäischen Verunsicherung - nicht auf die Kooperation mit Russland verzichten könnten. "Und deshalb muss auch die Kanzlerin alles tun, um die Kontakte zu dem Partner zu pflegen, der gemeinhin alle Rechnungen pünktlich bezahlt." Doch nicht in wirtschaftlichen Fragen, sondern auch bei aktuellen politischen Krisen, wie etwa in Syrien oder Nordkorea sei Moskau ein entscheidender Faktor, urteilt das Blatt aus Frankfurt an der Oder. "Deshalb fiel Merkels Kritik an den Razzien, die russische Behörden in den vergangenen Wochen bei deutschen Stiftungen in Moskau durchführten, vergleichsweise gedämpft aus."
Angela Merkel habe zum Thema Demokratie und Menschenrechte klare Worte an die Adressen Chinas und Russland gerichtet, urteilt die Braunschweiger Zeitung. Damit hebe sie sich positiv von ihren Vorgängern ab. Und auch den Protest der Aktivistinnen, die Putin barbusig beschimpften, hält das Blatt für wichtig: "Die Demonstrantinnen machten klar, dass Russland eben nicht nur ein Land der unbegrenzten ökonomischen Möglichkeiten, sondern auch der notleidenden Bürgerrechte ist. Vielleicht haben die engagierten Frauen auch manchem Manager eine Frage näher gebracht: Wie weit kann sich ein Unternehmen, das in und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung groß geworden ist, mit Diktaturen einlassen? Wann opfert es seine Identität?"
Quelle: ntv.de