Misshandlung in Flüchtlingsheimen "Da tun sich menschliche Abgründe auf"
29.09.2014, 19:37 Uhr
Der Skandal um Übergriffe privater Sicherheitskräfte auf Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen weitet sich aus. In mindestens drei Unterkünften soll es zu Misshandlungen gekommen sein. Der Skandal: Privatisierte Heime haben unter anderem über Subunternehmen vorbestrafte Sicherheitsmitarbeiter beschäftigt. Die Bundesregierung erwartet Aufklärung. Und auch in den deutschen Tageszeitungen wird der Ruf nach Konsequenzen laut.
"Schlimmer geht es kaum", stellt der Mannheimer Morgen fest: "Da finden Menschen oft nach monatelanger Flucht unter Lebensgefahr einen Unterschlupf in einem vermeintlich sicheren Land. Und dann fallen sie dort Quälern in die Hände, die eigentlich für ihre Sicherheit sorgen sollen". Die Bilder aus den nordrhein-westfälischen Asylbewerberheimen lassen nach Ansicht des baden-württembergischen Blattes keinen Raum für Interpretationen: "Da tun sich menschliche Abgründe auf, für die es keine Erklärung und keine Entschuldigung gibt. Ohne die Privaten wird es kaum gehen. Die Politik wird aber nicht darum herumkommen, Mindestanforderungen für das Personal in diesem sensiblen Bereich zu formulieren. Und die Sicherheitsfirmen müssen verstärkt durch die Polizei kontrolliert werden".
Das Schlimme an den Fotos der Security-Mitarbeiter, die mutmaßlich in einer Flüchtlingsunterkunft Asylbewerber misshandelten, ist für den Neuen Tag aus Weiden "(…) nicht nur, dass sie eine unglaubliche Brutalität zeigen. Viel schlimmer ist, dass man keine Sekunde die Echtheit solcher Bilder bezweifelt, dass man sofort glaubt, dass Menschen zu so etwas fähig sind". Für die Zeitung aus der Oberpfalz "(…) scheint der Anlass gegeben, an die Folgen solcher Handlungen zu erinnern: Jede Gewalt gegen Asylsuchende, jeder Steinwurf gegen ihre Heime, jedes volksverhetzende Wort, ja selbst jede populistische Phrase gegen Flüchtlinge liefert ideologische Munition. Und zwar den hasserfüllten Extremisten, wegen derer viele Menschen in diesen Tagen aus ihrer Heimat fliehen müssen".
Die Lübecker Nachrichten begeben sich auf Ursachensuche: "Vielleicht entdeckt jemand die Parallelen zwischen Burbach, Guantánamo und Abu Ghraib. Hier wie dort kann man nämlich mit Schrecken beobachten, was aus Menschen wird, denen plötzlich unkontrolliert Macht über andere Menschen gegeben wird. Eine Macht, mit der sie oft nichts anfangen können - vielleicht weil es an sozialer Kompetenz fehlt, vielleicht an Moral, vielleicht aber auch nur, weil sie eigentlich zu jenen gehören, denen sonst immer jemand gesagt hat, was richtig ist und was falsch". An den Pranger gehört nach Ansicht des Blattes "(…) nicht nur Burbach, sondern das inzwischen beliebte Prinzip, Verantwortung abzugeben. Der Bund reicht sie weiter an die Länder, die an die Kommunen, die an private Betreiber, die private Sicherheitsfirmen beauftragen, für die unqualifizierte Wachleute arbeiten. Ein langer Weg, auf dem dann irgendwann unterwegs Moral und Menschlichkeit auf der Strecke bleiben".
Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung sucht nach Gründen für das Geschehen: "Die Last (wird) nicht nur an Private, sondern auch in die Kommunen verschoben. Daran ist nicht fahrlässig, dass private Dienstleister - warum nicht viel mehr auch die Wohlfahrtsverbände? - Aufgaben übernehmen, die 'eigentlich' in die öffentliche Hand gehören. Verantwortungslos wird das Verfahren nur dann, wenn auf die Kosten geachtet, ansonsten aber weggeschaut wird. Denn wozu der Staat bereit ist, das kann auch der Private, nämlich seine Lasten weiterzureichen, an Subunternehmen zum Beispiel, die Sicherheitsfragen im Sonderangebot lösen, das sich dann selbst als Sicherheitsrisiko entpuppt. So landet das Problem dann doch wieder beim Staat. Im Fall von Flüchtlingen wiegt dieses Versäumnis besonders schwer. Es sind nicht immer Unschuldsknaben, aber doch die Schwächsten der Schwachen".
Die Welt mahnt zur Besonnenheit: "Die Taten der privaten Sicherheitskräfte sind niederträchtig, aber sie sind Einzelfälle. Die Mehrheit der Schutzsuchenden wird unter schwierigen Umständen menschenwürdig behandelt. Wo es einen Missstand gibt, so muss er beseitigt werden. Darüber hinaus darf man sich fragen, warum Vorbestrafte in Sicherheitsfirmen angestellt werden. Sie haben in der Flüchtlingsarbeit genauso wenig zu suchen wie Pädophile im Kindergarten. Verbesserungen der Lebensumstände von Flüchtlingen sind nötig. Sie müssen mit einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Europa einhergehen".
"Die Berichte über Prügel von Wachleuten in Nordrhein-Westfalen gehören aufgeklärt und die Schuldigen bestraft", ist auch im Tagesspiegel zu lesen. "Aber warum eigentlich stört sich niemand daran, dass man solche Wachdienste überhaupt zu brauchen glaubt? Warum müssen Leute, die womöglich mit Mühe ihr Leben gerettet haben, es von Gesetzes wegen hier in Gemeinschaftsunterkünften vertrödeln, in denen sie erst zu Zielscheiben werden und bewacht werden müssen? Es kann nicht mehr um Lockerungen dieses ebenso kleinlichen wie kontraproduktiven Kontrollwahns gehen, er gehört einfach endlich geheilt. Wir müssen die, die es trotz tödlicher Hürden zu uns geschafft haben, schnell und wirklich aufnehmen, sie müssen mitten in der Gesellschaft leben dürfen".
Quelle: ntv.de