Pressestimmen

Karlsruhe kippt Kopftuchverbot "Das Urteil stiftet erst einmal Unfrieden"

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Das Bundesverfassungsgericht kippt das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen und korrigiert damit sein Urteil von 2003. Zudem erklären die Richter eine Vorschrift im nordrhein-westfälischen Schulgesetz, nach der christliche Werte und Traditionen bevorzugt werden sollen, für unzulässig. Eine derartige Regelung benachteilige andere Religionen. In der Presse stößt die Kehrtwende aus Karlsruhe auf breite Zustimmung. Doch es gibt auch Kritik.

"Der Staat darf keine Religion diskriminieren, also auch keine bevorzugen", kommentiert der Mannheimer Morgen. An diese Bedingung habe das Verfassungsgericht schon 2003 ein Kopftuchverbot geknüpft: "Womöglich nicht präzise genug, vielleicht wurde auch der missionarische Eifer einiger Landesregierungen unterschätzt. Jedenfalls hat sich Karlsruhe nun korrigiert und klargestellt: Ein generelles Verbot ist unzulässig, es muss konkrete Gründe geben." Diese Einschränkung sollte nicht allzu leichtfertig umgangen werden, mahnt das Blatt abschließend: "Die Länder wären gut beraten, da keine neuen Schlupflöcher zu suchen. Sonst könnte das Schulklima leiden - nach dem Motto: 'Frau Dogan muss weg'."

Der Tagesspiegel lobt das Urteil als Ausdruck einer bewährten Toleranz des Staates gegenüber Religionen: "Dank seiner Fähigkeit zur Einsicht, zur Selbstkritik und Selbstkorrektur ist es ein im besten Sinne abendländischer Beschluss. Das Grundgesetz hat uns eine religionsoffene, ja sie fördernde Staatlichkeit konzipiert, die sich, alles in allem, bisher bewährt hat. Es malt nicht Schwarz und Weiß, wie es die Laizität in Frankreich mit ihrer strikten Trennung von Staat und Kirche tut, sondern überlässt es Institutionen und Bürgern, sich durchzuwursteln. Denn das ist Integration: ein Durchwursteln. Jeder mit jedem. Alltag. Routine. Gesellschaft. Die Antwort auf alle Fragen, das große Gesetz von Vater Staat, das sie abschließend klären würde, von Sprachkurspflichten zum Burkaverbot - es ist eine Illusion."

Die Frankfurter Rundschau stellt dem Bundesverfassungsgericht ein durchwachseneres Zeugnis aus: "Kopftuchverbot und Kopftuchgebot haben eines gemeinsam: den Zwang. Frauen werden in beiden Fällen gezwungen, etwas zu tun, was sie nicht wollen, einen Teil Ihrer Identität zu verleugnen - hier den religiösen und dort den laizistischen. Beides ist einer freiheitlichen Gesellschaft nicht würdig. (...) Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem aktuellen Urteil über angestellte Lehrerinnen eine andere Antwort gegeben. Eine weitere gab der Zweite Senat 2003 in seinem Urteil über beamtete Lehrerinnen. Damals wurde ein generelles Kopftuchverbot zugelassen, nun wurde es an Bedingungen geknüpft. Ist der Schulfrieden gestört, darf verboten werden, heißt es jetzt. Damit allerdings wird der Konflikt wieder genau dorthin getragen, wo er durch höchstrichterliche Entscheidung befriedet werden sollte: an die Schulen.

Auch der Kölner Stadt-Anzeiger sieht den Karlsruher Beschluss kritisch: "Heftige Debatten stehen ins Haus, wann ein Kopftuch oder ein anderes religiöses Symbol das Zusammenleben in einer Schule oder Behörde stört." Tonlage und Ergebnis würden Aufschluss darüber geben, "wie es steht mit Anerkennung und Toleranz in diesem Land". Zudem, so die Zeitung weiter, könne ein weiterer Aspekt des Urteils für zusätzlichen Zündstoff sorgen: "Denn die Richter haben auch die Vorschrift im nordrhein-westfälischen Schulgesetz gekippt, nach der christliche Werte bevorzugt werden sollen. Was heißt das für den üblichen christlichen Religionsunterricht? Wie sieht es generell in den Schulbüchern aus? Mag sein, das Karlsruher Urteil stiftet erst einmal Unfrieden."

Die Stuttgarter Zeitung wertet das Urteil als notwendige Kurskorrektur im Sinne der Neutralität des Staates gegenüber Religionen: "Mit ihrem Beschluss haben die Richter klargestellt: Gleiches muss gleich behandelt werden. Wer ein Kopftuch als Ausdruck der Verbundenheit mit dem Islam trägt, ist nicht anders zu behandeln als jemand mit Kippa als Zeichen für das Judentum - oder mit einem Kreuz als Symbol für die Christenheit. Zahlreiche Landesgesetze hatten 2003 das Kopftuch verboten, christliche Symbolik aber ausdrücklich gestattet. Das geht nicht."

Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.

Quelle: ntv.de

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