Fußball-EM in der Ukraine "Ein Boykott würde nicht helfen"
27.04.2012, 22:02 UhrIn der Ukraine explodieren Bomben. Attentäter verletzten Dutzende Menschen. Zugleich verweigert die Regierung der inhaftierten Oppositionellen Julia Timoschenko eine angemessene medizinische Versorgung. Die deutsche Presse fragt sich: Ist die Ukraine wirklich bereit für die Fußball-Europameisterschaft? Viele Medien sehen es wie und halten einen Boykott für nutzlos.
Laut dem Kölner Stadt-Anzeiger zeigt der Bombenterror in der Ukraine eines ganz deutlich, "dass die Lage in der Ukraine außer Kontrolle zu geraten droht". Wenn sich in den kommenden Tagen nichts Einschneidendes ändere, ist die Fußball-Europameisterschaft im Juni in akuter Gefahr. "Gefordert ist nun der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch. Mit einer großen Geste könnte er die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko ausreisen lassen und eine Amnestie für die übrigen einsitzenden Oppositionspolitiker einleiten. Es würde die EM und möglicherweise auch sein politisches Überleben sichern." Denn laut dem Blatt zeichnet sich noch etwas deutlich ab: Scheitert die Europameisterschaft, werden die wirklich mächtigen Männer in der Ukraine - wie der fußballverrückte Oligarch aus Donezk, Rinat Achmetow - "ihrem" Präsidenten Janukowitsch die Unterstützung entziehen.
Die Nordwest-Zeitung geht noch einen Schritt weiter: Das Blatt fordert einen politischen Boykott der EM. "Es gab, gerade hier in Deutschland, ein eklatantes Beispiel dafür, dass es nicht reicht, nur teilzunehmen - und dann wird alles gut. Die Hitler-Diktatur gab sich 1936 als Gastgeber der Sommerspiele in Berlin lammfromm. Dass sich das Regime durch den bei Olympia obwaltenden Geist des Friedens allerdings in der Folge gemäßigt hätte, wird niemand ernsthaft behaupten mögen." Was also jetzt tun im Fall der Ukraine und der Fußball-EM?, fragt die Zeitung. "Es wäre gut, wenn die Sportler hinfahren würden. Es wäre noch besser, wenn sich zusätzlich die Großsponsoren, die beim Kontakt mit Diktaturen sonst so wenig zimperlich sind, mal kritisch zu Wort melden würden. Am besten indes wäre es, wenn sich von den reisefreudigen Politikern Europas keiner auf der Ehrentribüne sehen ließe." Doch mit dieser Meinung steht die Nordwest-Zeitung recht alleine da.
Die Westdeutsche Zeitung hält wenig von einem Boykott. "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Boykott und vollständige Isolation das Gegenteil von dem erreichen, was sie bewirken sollen." Die Teilnahme von Teams aus allen demokratischen Staaten an den Olympischen Spielen 2008 in China sei das jüngste Beispiel dafür, dass internationale Großereignisse zur Öffnung eines abgeschotteten Systems beitragen können. "China ist in den Jahren seit der Vergabe der Spiele ein offeneres Land geworden, wenn auch noch kein demokratisches. Die Fußball-EM kann die Ukraine auf ihren 2004 eingeschlagenen Weg nach Europa zurückführen. Wird das Land isoliert, entsteht an der Ostgrenze der EU andernfalls womöglich ein Krisenherd."
Ähnlich sieht das auch die Märkische Allgemeine. War es ein Fehler, der ehemaligen Sowjetrepublik die Europameisterschaft zu geben?, fragt das Blatt aus Potsdam und antwortet: "So weit sollte man nicht gehen. Die Ukraine ist ein junger Staat mit internen Konflikten, hin- und hergerissen zwischen den Nachbarn Russland und EU. Die Vergabe der EM erfolgte auch in der Hoffnung, dass ein Modernisierungsschub ausgelöst würde." Inzwischen sieht es aber so aus, als würden eher die rückwärtsgewandten Kräfte die Oberhand gewinnen. Die kritische Menschenrechtslage muss offen angesprochen werden, ein Boykott würde der Ukraine jedoch nicht weiterhelfen.
Auch die Augsburger Allgemeine sieht keinen Grund, die EM zu ignorieren. "Noch ist die Sicherheit der Fußball-Europameisterschaft nicht ernsthaft bedroht", schreibt die Zeitung. Das Blatt zeigt sich angesichts der Anschläge aber besorgt, dass der Fall Timoschenko aus dem Fokus gerät. "Die europäische Öffentlichkeit sollte sich durch die Anschläge (…) nicht davon abbringen lassen, sich weiter intensiv um (…) Timoschenko zu kümmern."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Thomas E. Schmitt