Pressestimmen

Jamaika im Saarland "Ein schamloser Swingerclub?"

Im Saarland startet das erste schwarz-gelb-grüne Experiment auf Landesebene. Die Zeitungen nehmen dies zum Anlass, um allgemein über das Zustandekommen von Koalitionen nachzudenken. Hinter der Entscheidung an der Saar erkennen sie dabei nicht viel System, klar scheint nur, dass der "Oskar-Faktor" mit ausschlaggebend war.

Hubert Ulrich, Grünen-Chef im Saarland,scheint sich auf die Koalitionsverhandlungen zu freuen.

Hubert Ulrich, Grünen-Chef im Saarland,scheint sich auf die Koalitionsverhandlungen zu freuen.

(Foto: dpa)

Das Erstaunlichste am künftigen Bündnis an der Saar ist "die zum Machterhalt bewiesene extreme Flexibilität", die der Eßlinger Zeitung folgend "stabilisierend" wirken könnte und zwar "im Sinne dessen, was in anderen Staaten längst Normalität ist. Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit. Sie haben einen mehr oder weniger großen Vorrat an Gemeinsamkeiten. Was Kompromiss oder auch Kuhhandel nicht lösen können, wird ausgeklammert, bis nach der nächsten Wahl eine andere Konstellation regiert. Für die Zukunft sollte für Länder wie den Bund aufs Neue klar werden, dass grundsätzlich alle Demokraten untereinander koalitionsbereit sein müssen."

"Der Widerstand der Dinosaurier aus rot-grüner Zeit wird den Zug der Zeit nicht aufhalten können. Zu lange schon haben sich treibende Kräfte in Union, FDP und bei den Grünen aufeinander zu bewegt", kommentiert die Nürnberger Zeitung und erinnert an die 90er Jahre, als "besonders wertkonservative Grüne und Schwarze" in der "Pizza-Connection" Gefallen aneinander fanden. "Mit der Öffnung der Unionsparteien zur linken Mitte hin und mit zunehmender Verbürgerlichung der in Teilen ohnehin im Bürgertum beheimateten Grünen verfestigte sich dieser Trend nur."

"Dass nun ausgerechnet die ehemals 'schwarze' Ampel - heute lieber Jamaika genannt - als erste Dreierkoalition zum Zuge kommen könnte, darauf haben sicher nicht viele politische Beobachter gewettet", vermutet die Kölnische Rundschau. Zurückzuführen sei die künftige Saar-Koalition auf den vielleicht zum letzten Mal wirkenden "Oskar-Faktor", denn "mit populistischen Sprüchen hat der frühere Ministerpräsident so ziemlich alle Konkurrenten verletzt. Während er aber seine 'alte Liebe' SPD zuletzt relativ pfleglich behandelte, weil er auf Rot-Rot setzte, ließ er keine Gelegenheit aus, die Grünen zu attackieren. Dass er sich jetzt entschloss, auf die Fraktionsführung in Berlin zu verzichten, um sich intensiver um das Saarland kümmern zu können, hat sicher den Ausschlag gegeben haben für die Entscheidung. Es war wohl die Furcht vor einem Nebenministerpräsidenten Lafontaine und seinen möglichen Allüren und Querschüssen, die Rot-Rot-Grün an der Saar verhindert hat."

"In Thüringen hätte die SPD mit den Linken regieren können, wählte aber die CDU. In Brandenburg hätte sie mit ihrem alten Partner CDU weiterregieren können, wählte aber die Linke. Und im Saarland tobt die SPD gegen die Grünen, weil die mit der Union und der FDP fremdgehen. Die ganze Politik ein schamloser Swingerclub? Fast scheint es so." Aber eigentlich, so der Trierischer Volksfreund, lasse sich ja "jede Koalitionsentscheidung begründen". Trotzdem kann das Blatt kein Schema entdecken, "außer vielleicht dem, dass Pragmatiker größere Chancen zu einer Regierungsbeteiligung haben als Ideologen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum der eher radikalen West-Linken mit ihrem Anführer Oskar Lafontaine bisher noch kein einziger Einzug in eine Koalitionsregierung gelungen ist."

Zusammengestellt von Katja Sembritzki

Quelle: ntv.de

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