Wahlerfolg der Grünen "Ermutigung für Wechsel in Berlin"
28.03.2011, 20:04 Uhr
Die einstige Splitterpartei dringt weit in die Wählerkreise vor: Claudia Roth, Eveline Lemke und Winfried Kretschmann (v.l.n.r.).
(Foto: dapd)
Die Grünen sind die großen und auch einzigen Gewinner der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Sie stellen die Zeichen auf Grün für eine neue Politik der Mitte und auch für einen Regierungswechsel in Berlin. Doch der neue baden-württembergische Landesminister Winfried Kretschmann muss die Kirche im Dorf lassen. Politisches Wunschdenken wird schon bald von kalter Realität verdrängt.
Die Mittelbayerische Zeitung lobt den grünen Wahlkampf und das dazugehörige Polit-Personal: Die Südwest-Grünen hätten sich "als seriös, in manchen Fragen konservativ, das heißt etwa, die Schöpfung bewahrend", präsentiert. Viel mehr noch: Es sei ihnen gelungen, "bis weit in Wählerkreise vorzudringen, die bislang den beiden vorgeblich 'bürgerlichen' Parteien vorbehalten schienen. Vor allem die Grünen bemühen sich, bürgerliche Werte, wie Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, hoch zu halten." Betrachtet man jedoch die hauptstädtischen "Streitereien und Peinlichkeiten der schwarz-gelben Koalition" falle den Grünen das wahrlich auch nicht besonders schwer.
"Kretschmann bleibt gar nichts anderes übrig, als die Kirche im Dorf zu lassen", schreibt die Stuttgarter Zeitung und meint zuversichtlich, dass ihn und seiner Partei das durchaus gelingen könnte – immerhin seien die Südwest-Grünen Dickbrett-Bohrer. "Seit jeher gelten sie innerparteilich als Oberrealos – was wahrlich nicht immer ein Lob war. Sie haben die gesellschaftspolitisch modernen Ansätze der Partei – gleiche Anteile für Frauen und Männer, Offenheit für Migranten und andere gesellschaftliche Gruppen – von der Basis her gelebt; daher rührt auch ihr wachsender Erfolg. Sie lehnen zudem Persönlichkeitskult ab und setzen stark auf Teamleistung." So passe Kretschmanns Ansage, "er wolle versuchen, das Land 'besonnen, mit Maß und Mitte' zu führen", gut dazu.
Der Westfälische Anzeiger schlägt einen Blick in die Zukunft werfend etwas kritischere Töne an, denn "übergroß sind im Glanze des Triumphs die Erwartungen der eigenen Anhänger – ebenso mächtig die Hoffnungen der Gegner auf ein schnelles Scheitern des grün-roten Projekts." So werde sich Winfried Kretschmann noch so manches Mal an den Weg zur Landtagswahl erinnern – "wie vergleichsweise einfach das doch war..." Doch ab jetzt sei "Wunschdenken von kalter Realität verdrängt: Winfried Kretschmann muss dem Land vor allem erklären, dass der Abschied von der Atomenergie länger dauert als ein Wahlkampf."
"Zur Gänze ergrünt ist die Republik im schwäbischen Frühling noch lange nicht", konstatiert der Kölner Stadt-Anzeiger. Der Wahlsieg der Grünen sei durchaus sensationell, aber faktisch hätten "nur ein Viertel der Wähler (…) tatsächlich für die Grünen gestimmt". (…) 'Erst das Land, dann die Partei, dann die Person' hat Winfried Kretschmann seinen christdemokratischen Vorvorvorgänger Erwin Teufel als Vorbild zitiert. Gelänge es ihm, aus diesem Kalenderspruch Politik zu machen, ein Hoffnungsträger neuen Typs wäre uns erschienen."
Der Tagesspiegel betrachtet den Wahlerfolg der Grünen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf Bundesebene, denn auch dort werde "die Mitte der Gesellschaft (…) gerade neu vermessen". Denn der Wahlausgang im Südwesten der Republik könne das "Wetterleuchten für eine erneute grüne Regierungsbeteiligung auf Bundesebene sein". Dabei seien die Sozialdemokraten nicht mehr der natürliche Partner. "In der politischen Versuchsanordnung von Angela Merkel wird der endgültige Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft schon eingeplant sein. Sie wird bedauern, dass Mappus-Vorgänger Günther Oettinger vor fünf Jahren ein Bündnis mit den Grünen verwarf. Der Sieg im Südwesten ist Ermutigung; auch für einen Regierungswechsel in Berlin."
Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Julia Kreutziger