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Pressestimmen Europa bleibt stumm

Ägypten beklagt zahlreiche Verletzte und Tote.

Ägypten beklagt zahlreiche Verletzte und Tote.

(Foto: dpa)

Gegner und Befürworter liefern sich in Kairos Innenstadt einen Bürgerkrieg. Husni Mubarak ist weiterhin im Amt und schickt Provokateure aus, um die Stimmung anzuheizen. Der Westen bleibt größtenteils stumm. Nur Brarack Obama legt dem ägyptischen Präsidenten bislang den Rücktritt nah. Doch wenn der Westen seine eigenen Werte ernst nimmt, muss er den Druck auf das Regime erhöhen.

"Dass sich in den 32 Jahren der Ayatollah-Herrschaft das einstige Weltreich Persien zu einem mittelalterlich anmutenden, frauenunterdrückenden, durch sinnlose Kriege verarmten Gottesstaat zurückentwickelt hat, der seiner Jugend nicht die geringsten Perspektiven zu bieten hat", das wüssten auch die Ägypter, schreibt die Main-Post. Daher demonstrieren sie nicht für einen Gottesstaat, sie kämpfen für Freiheit. "Dem Westen bleibt nichts anderes übrig, als dem Streben der Ägypter nach Selbstbestimmung zu vertrauen. Und darauf zu hoffen, dass eine labile Demokratie nicht nur den Ägyptern, sondern auch dem Westen besser bekommt als eine stabile Diktatur. Zumindest langfristig."

Auch der Südkurier ist der Meinung, dass es für den Westen momentan weder etwas "abzuwiegeln" noch etwas "abzuwarten" gebe. "Wenn die demokratischen Gesellschaften in Europa und Amerika ihre eigenen Werte ernst nehmen, müssen sie jetzt Flagge zeigen und den Druck auf den einstigen Partner am Nil erhöhen. (…) vom Einreiseverbot für Regierungsmitglieder bis zum Einfrieren von Auslandskonten" seien ausreichend Instrumente vorhanden. Die Zeit "wohlklingende(r) Erklärungen und wachsweiche(r) Drohungen" sei vorbei, so das Blatt und verweist auf damit auf die bisherigen Aussagen des Westens. "Das neue Ägypten wird uns an unseren Entscheidungen messen, nicht an unseren Worten."

Die dürftigen Stellungnahmen und Erklärungen des Westen kritisiert die Ludwigsburger Zeitung: "Während die fünf wichtigsten EU-Länder, darunter Deutschland, noch sprachliche Pirouetten drehen, hat sich Barack Obama immerhin schon dazu durchgerungen, Mubarak telefonisch unumwunden zum Rücktritt aufzufordern. Lange hat es gedauert, bis die Politstrategen und Diplomaten in den Hauptstädten des Westens sich auf die neue Lage eingestellt haben. Viele haben wahrlich keine gute Figur gemacht." Dazu gehöre auch der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle "mit seinen verbalen Klimmzügen".

Auch die Landshuter Zeitung/das Straubinger Tagblatt nimmt Guido Westerwelle kritisch ins Visier: Er habe wesentlich länger als Kollegen gebraucht, "um Touristen klar davon abzuraten, nach Ägypten zu reisen. In Alexandria standen Diplomaten der deutschen Schule erst zur Seite, nachdem die ihr Schicksal öffentlich gemacht hatte. Am Kairoer Flughafen suchten Deutsche am Sonntag noch vergeblich nach deutschen Botschaftsmitarbeitern und mussten auf Hilfe anderer EU- Länder hoffen."

Aus einem anderen ganz Blickwinkel betrachtet die Märkische Allgemeine die Rolle Deutschlands: "Ein wenig eitel ist es schon, wenn dieser Tage mit dem Unterton moralischer Empörung die Frage gestellt wird, wie und warum auch Deutschland mit den Autokraten der arabischen Welt so lange auf gutem Fuße stand. Deutschland ist für einiges Elend in der Welt (leider) verantwortlich - an allem Unheil auf dem Globus ist es das nicht." Das Blatt sieht vielmehr Agitatoren: "Zum einen sind Diktatoren mitunter die einzigen Ansprechpartner zentralistischer Regime (Nordkorea, Iran, China), zum anderen sind Treffen mit den jeweiligen Oppositionellen oft nur Alibi-Veranstaltungen, die wenig bewirken, auch wenn man sie daheim gut vorzeigen kann. Im Irak und in Afghanistan versucht der Westen - auch im eigenen Interesse - demokratischen Strukturen auf die Beine zu helfen, eine wirkliche Erfolgsgeschichte ist es nicht."

Der Mannheimer Morgen fühlt sich von den Protesten in Ägypten, Tunesien und Jordanien an den Fall der Mauer erinnert. "War es doch auch vor 1989 diesseits des Todesstreifens weitaus bequemer, sich an den Status quo gewöhnt zu haben, als an den Freiheitsdrang der Menschen auf der anderen Seite zu denken. Wir sind das Volk! steht längst für den Ruf nach Demokratie weltweit. Politische Stabilität ist zwar wichtig. Wer sich aber auf Dauer mit den Autokraten arrangiert, sollte nicht überrascht sein, wenn sich die Unterdrückten nicht mehr länger in Geiselhaft für geostrategische Planspiele nehmen lassen wollen. Was derzeit in Nordafrika geschieht, muss die Despoten aller Länder beunruhigen."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Julia Kreutziger

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