Baumgartners großer Sprung "Extrem kontrollierter Kontrollverlust"
15.10.2012, 21:20 Uhr
Medienrummel um Felix Baumgartner: Der Extremsportler durchbricht als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer.
(Foto: AP)
Der Extremsportler Felix Baumgartner springt aus 39 Kilometern Höhe Richtung Erde und durchbricht dabei als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von Mach 1,24 übertrifft das Team um Baumgartner sogar die eigenen Erwartungen. Fast sieben Millionen Zuschauer sehen das Medienereignis auf n-tv, weitere acht Millionen verfolgten den Sprung auf der Video-Plattform Youtube. Auch die deutsche Presse kann sich dem Trubel um die Extremsport-Veranstaltung nicht entziehen und diskutiert kontrovers.
Die Braunschweiger Zeitung bewertet das Medienecho um Baumgartners Sprung als übertrieben und kommentiert: "Baumgartner ist kein Neil Armstrong. Der US-Astronaut hat 1969 beim Betreten des Mondes jenen Satz gesagt, der nicht mehr zu überbieten ist: Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit. Es wäre ungerecht, Baumgartner an Armstrong und Kollegen zu messen. Aber es kann nicht schaden, den Rummel nicht noch einmal bis in die Stratosphäre aufsteigen zu lassen."
Die Bedeutung des Extremsport-Ereignisses schätzen die Westfälischen Nachrichten folgendermaßen ein: "War das nur ein Werbegag für eine Limonade, die in Wirklichkeit keine Flügel verleiht (sonst hätte der Flug ja länger gedauert)? Vielleicht. War das nur ein spektakulärer Spaß, der die Menschheit nicht weiterbringt? Vermutlich. Aber nichts anderes sehen wir jede Woche - ob auf dem Fußballplatz oder im Formel-Eins-Zirkus: Sponsoren-finanzierte Großevents, die nutzlos sind - aber begeistern. Ist doch gut so!"
Der Donaukurier bewertet Baumgartners Aktion ebenfalls als gelungenen Werbecoup und bezeichnet dementsprechend den Getränkehersteller Red Bull als eigentlichen Gewinner des Rekordsprungs: "Er hat den bislang größten Werbecoup der Geschichte gelandet." Gleichzeitig würdigt die Zeitung jedoch die Leistung des eigentlichen Stars der Veranstaltung, Felix Baumgartner: "Ganz ehrlich: 99,99 Prozent der Menschheit hätten sich nicht mit einer Kapsel in 39 Kilometer Höhe tragen lassen, um sich dann mit Überschallgeschwindigkeit Richtung Erde zu stürzen. Die meisten drehen ja auf der Leiter zum Zehnmeterturm im Freibad schon um. Deshalb: Hut ab vor der persönlichen Leistung von Felix Baumgartner."
Auch die Leipziger Volkszeitung lobt die persönliche Leistung Baumgartners, dem es bei dem Sprung, so die Zeitung, nicht bloß um einen PR-Gag gegangen sei: "Felix Baumgartner ist ein Profi, der seine Haut nicht aus Jux und Tollerei zu Markte trägt - und bei Leibe auch nicht um des schnöden Mammons willen. Wer auf bloße Effekthascherei aus ist, der investiert nicht fünf Jahre Vorbereitung." Über den wissenschaftlichen Wert, so der abschließende Kommentar der Zeitung, lasse sich zwar streiten, über die Leistung Baumgartners nicht.
Die Süddeutsche Zeitung geht der Frage nach, worin die Anziehungskraft solch eines Events auf das Publikum liegt und kommt zu dem Ergebnis: "Wer zuschaut, wenn einer seine Tapferkeit auf die Probe stellt, tut das natürlich, weil ihn auch das mögliche Scheitern reizt." Schadenfreude bringe Quote und dies wüssten, laut Zeitung, die verantwortlichen Köpfe bei Red Bull nur allzu gut, wenn sie die Kommentatoren im Red Bull eigenen TV-Sender die möglichen Gefahren für Baumgartner, "Bewusstlosigkeit! Explodierende Augäpfel", endlos wiederholen ließen.
Um das Spiel mit der Lebensgefahr dreht es sich auch bei der Stuttgarter Zeitung. Dabei seien Menschen wie Baumgartner keineswegs Lebensmüde: "Im Gegenteil: sie lieben das Leben und wollen es immer wieder spüren - und das so intensiv wie möglich.", so das Blatt. Allerdings sei die Gefahr der bloßen Existenz für die Millionen von Zuschauern zentraler Motivationsgrund, den Sprung im Fernsehen live zu verfolgen: "Sie wollten sehen, wie in einer durchorganisierten Hightech-Welt ein Mensch alles hinter sich lässt und sein Dasein reduziert wird auf das Wesentliche - auf das nackte Überleben. Paradox erscheint, dass diese archaische Herausforderung und deren mediengerechte Präsentation erst mit einem gigantischen technischen und finanziellen Aufwand erreicht werden konnte. Es war ein extrem kontrollierter Kontrollverlust."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Aljoscha Ilg