Pressestimmen

Christian Lindner tritt zurück "Flucht aus der Verantwortung"

Christian Lindner tritt als Generalsekretär der FDP zurück. Er wolle den Weg für neue Dynamiken frei machen. Viel eher drängt sich einem jedoch das Gefühl auf, dass der einstige Hoffnungsträger das sinkende Schiff verlässt, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden – das meint nicht nur n-tv.de. Die junge liberale Führungsriege versagt, ist zu weich und zu unerfahren. Rainer Brüderle könnte es jetzt richten, wenn auch nur mit mäßigem Erfolg.

Mit den Abschiedsworten "Auf Wiedersehen" trit Christian Lindner als Generalsekretär der FDP zurück.

Mit den Abschiedsworten "Auf Wiedersehen" trit Christian Lindner als Generalsekretär der FDP zurück.

(Foto: REUTERS)

Die FDP verharre weiter im "Zustand der permanenten Selbstdemontage", schreibt die Hessische/Niedersächsische Zeitung. Christian Lindners Rücktritt mache dies mehr als deutlich. Der Verlust sei umso schmerzlicher, "da die Liberalen mit Christian Lindner ihren klügsten Kopf und größten Hoffnungsträger verlieren." Das Blatt sieht den Generationenwechsel daher als misslungen an, "weil sich herausstellt, dass es die junge Riege nicht kann". Zudem drohe eine Spaltung mit den euroskeptischen Abweichlern. Und was macht der Parteivorsitzende? Selten habe einer so schwach agiert, urteilt das Blatt. "Statt Lindner hätte daher Rösler selbst die Konsequenzen ziehen müssen."

Die Mittelbayerische Zeitung hört in Lindners Rücktrittserklärung "tiefe Resignation" heraus. "Vielleicht waren die eigenen Ansprüche zu hoch geschraubt, das Tempo, mit dem man in die Erfolgsspur zurück wollte, zu rasant. Der einstige Hoffnungsträger hat die Hoffnung verloren, dass die Partei in absehbarer Zeit aus ihrem Tief kommt." Einerseits sei dies "das Eingeständnis des eigenen politischen Scheiterns". Andererseits ist genau das von einem Shootingstar wie Lindner, der erst am Anfang seiner Karriere steht, "ein äußerst mutiges Bekenntnis. Für diese Ehrlichkeit gebührt (ihm) Respekt."

Die Leipziger Volkszeitung lässt Lindner nicht so leicht davon kommen. Sie sieht in seinem Rücktritt eine "Flucht (…) aus der Verantwortung" und bewertet sein Verhalten als "ein recht durchsichtiges Rettungsmanöver in eigener Sache": "Lindner will, kurz vor Ultimo mit dem Euro-Mitgliederentscheid und vor der ultimativen Wahlschlappe, noch schnell so tun, als habe er mit all dem nichts mehr zu tun. Doch ein solcher Held taugt nicht dazu, um demnächst wieder als Retter ganz oben mitzutun. Das hätte die FDP dann auch nicht verdient. Schluss, aus, Klappe zu, FDP tot?" Soweit sei es noch nicht gekommen, urteilt das Blatt. Die FDP habe Erfahrung im Überlebenskampf. Dennoch: "Momentan weiß niemand mehr so recht, wieso es die FDP dieses Mal wieder schaffen sollte. Eine Gruppe politischer Ich-linge ist geblieben. Mittendrin springt noch der nette Herr Rösler herum. Aber das wirkt nicht einmal mehr charmant."

Ähnlich Töne schlägt die Frankfurter Neue Presse an, wenn sie schreibt: "Lindner hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht; seine Behauptung, er wolle den Weg zu einem Neuanfang frei machen, können wir getrost vergessen. Er will nicht mit herabgezogen werden, wenn seine Partei die letzten Schritte in den Abgrund vollzieht. Selbst wenn's gut laufen sollte für die FDP, wenn sie also rechtzeitig vor der Bundestagswahl noch ihren Rösler loswürde und, sagen wir mal, durch den listigen Meister Brüderle ersetzte – selbst dann würde es für einen grandiosen Wahlerfolg nicht mehr reichen. Vielleicht könnten sie es dann noch in den Bundestag schaffen. Aber fürs Mitregieren, so viel Vorhersage muss sein, wird's nicht genug sein."

Auch der Mannheimer Morgen bricht für Rainer Brüderle eine Lanze und glaubt, dass er die FDP irgendwie retten kann: "(…) Es ist kein Zufall, dass Rainer Brüderles Stern immer heller strahlt. Der Fraktionschef ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, worauf es ankommt in der Politik, welchen Konflikt man austrägt und welchen nicht." Das Blatt hält die Generation Rösler für "noch zu unerfahren und zu weich". Sie gebe, "siehe Lindner, zu leicht auf und sie denkt, siehe Bahr, zu häufig an sich selbst". Das sei eine gewaltige Hypothek für eine Partei, die um ihr Überleben kämpft. Doch, so glaubt die Zeitung, "mit Brüderle an der Spitze könnte die FDP sich halbwegs sicher sein, dass wenigstens ihre Stammwähler bei der Stange bleiben".

Die Ludwigsburger Kreiszeitung geht weiter und sieht nicht nur die FDP in ihrer Existenz gefährdet, sondern längst auch die schwarz-gelbe Koalition. "Viele in der FDP hatten geglaubt, mit der Entdeckung der Nachwuchskräfte Rösler, Lindner und Bahr nachgerade einen Jungbrunnen in Betrieb gesetzt zu haben. Nun zeigt sich: Auch die sind nicht besser. Im Gegenteil, sie stümpern, sie streiten – und sie flüchten aus ihrer Verantwortung. Damit ist die FDP als Regierungskraft für die laufende Legislaturperiode am Ende, jedenfalls, wenn man das Wort 'Kraft' ernst meint. Was von dieser Partei jetzt noch kommen wird, ist pure Notstabilisierung. Irgendeiner wird Generalsekretär, es kann auch genauso gut irgendeiner Vorsitzender werden. Inhaltlich ist nach dem gestrigen Tag auch die schwarz-gelbe Koalition am Ende. Ein gemeinsames Projekt findet die nicht mehr."

Quelle: ntv.de, zusammengestellt von Julia Kreutziger

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