Merkel empfängt Netanjahu "Gute Chancen sehen anders aus"
27.08.2009, 20:49 UhrIst Merkels Kritik an der Siedlungspolitik Israels geprägt von einer "neuen Ernsthaftigkeit", mit der Deutschland auf eine friedliche Lösung in Nahost drängt, oder hat die Kanzlerin einen "verstellten Blick" auf die Realität, wenn sie von guten Chancen für eine Friedenslösung spricht? Die Presse kann sich nicht einigen.
  Von überraschender Klarheit sei die Kritik Merkels an Israel gewesen, meinen die einen, "zu milde" hingegen die anderen.
(Foto: AP)
"Das Treffen der deutschen Staatsführung mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war von überraschend klaren Worten geprägt", ist die Mitteldeutsche Zeitung erstaunt und macht eine "neue Ernsthaftigkeit" aus. Deutlich formuliert gewesen sei die "Absage an den weiteren Bau jüdischer Siedlungen und die Aufnahme ernsthafter Friedensverhandlungen mit den Palästinensern", wenig zu spüren hingegen die oft gerügte "Feigheit vor dem Freund". Zwar sollte man den deutschen Einfluss in Nahost nicht überschätzen, zumal sich Berlin bislang "eher als Makler in diplomatisch heiklen Missionen denn als echter Machtfaktor einen Namen gemacht" habe, doch das entwerte die deutsche Außenpolitik in der Region nicht, so das Blatt aus Halle. "Die neue Ernsthaftigkeit, mit der aus Deutschland auf eine dauerhafte Friedenslösung gedrungen wird, gibt Israel den klaren Tenor für die bilateralen Beziehungen vor."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung macht hingegen eine nur "milde Kritik" der Kanzlerin an Israel aus, zu der sie auch nur deshalb befähigt sei, "weil sie schon früh ein auffallend starkes Bekenntnis zum Existenzrecht Israels (Teil der deutschen Staatsräson) abgelegt hatte". Dabei zerschnitten die israelischen Siedlungen sowie die Verbindungsstraßen und Kontrollposten das "Westjordanland in einen Flickenteppich, der wirtschaftlich nicht lebensfähig ist". Darauf lasse sich kein halbwegs stabiler Staat gründen. "Das müsste an erster Stelle Israel einsehen, das die Verhältnisse am besten kennt. Doch ist die Realpolitik der Zwei-Staaten-Lösung das eine, der Glaube an den schon von der Bibel abgeleiteten Anspruch auf Judäa und Samarien das andere. Einen solchen Knoten kann selbst eine pragmatische Pfarrerstochter nicht lösen."
"Siedlungsbau und Zwei-Staaten-Lösung schließen sich definitiv aus. Netanjahu beugt also die Wahrheit, wenn er von einem Palästinenserstaat spricht und gleichzeitig einen Siedlungsstopp ablehnt", kommentiert die Leipziger Volkszeitung. Merkels Hinweis auf diesen Widerspruch, die Weigerung das Thema von der Agenda zu streichen - selbst um den Preis des Zwistes -, könnte man konsequent nennen. Doch es sei weniger als das, es sei schlicht normal, meint die Zeitung und sieht in einem sofortigen Siedlungsstopp das Mindeste an Entgegenkommen, was Israel der palästinensischen Seite zeigen müsste. "Wird er es tun? Noch beharrt Israels Regierungschef auf die Siedlungen mit dem Hinweis, ihr Abbau würde einen Bürgerkrieg auslösen. Von der Hand zu weisen ist das zwar nicht. Aber dann müsste Netanjahu zumindest über eine Ein-Staat-Lösung nachdenken. In Berlin jedenfalls war davon auch nichts zu hören."
Die Dithmarsche Landeszeitung unterstellt Merkel einen verstellten Blick auf die Realität, wenn sie von guten Chancen für eine friedliche Lösung spreche, denn "schon die nach israelischem Recht legalen Siedlungen bereiten dem Rest der Welt Kopfschmerzen". Und das Problem, dessen Lösung Merkel für einen Frieden als wichtig erachtet, wachse: die steigende Zahl illegaler Siedlungen. Zwar signalisiere Netanjahu Verhandlungsbereitschaft, sollten die Palästinenser Israel als Staat anerkennen, die Anerkennung eines Staates Palästina habe er bislang jedoch nicht in Aussicht gestellt. Das Blatt aus Heide zieht sein Fazit: "Sehr gute Chancen auf eine Friedenslösung, wie die Kanzlerin sie ausmacht, sehen anders aus."
Die Süddeutsche Zeitung sah Merkel unter Zugzwang: "Gerade mit seinem Versuch, die Siedlungsfrage als zweitrangig darzustellen, hat Netanjahu die Kanzlerin zu einer deutlichen Positionierung gezwungen. Sie musste eine substantielle Bewegung Israels fordern und klarmachen, dass es ohne eine Lösung dieser Frage keinen Neustart der Friedensverhandlungen wird geben können." Auch wenn der deutsche Einfluss begrenzt sei, hätten die Worte der "Israel-Freundin" Merkel Netanjahu jedoch aufgezeigt, dass die diplomatische Kette eng geknüpft ist. "Deutschlands Verantwortung erzwingt in diesem Fall eben keine Zurückhaltung. Sie verpflichtet vielmehr zu Offenheit."
Zusammengestellt von Nadin Härtwig
Quelle: ntv.de