Breivik-Prozess vor dem Urteil "Hauptsache, er bleibt weggesperrt"
22.06.2012, 20:51 Uhr
Die gefesselten Hände des Massenmörders.
(Foto: dpa)
Im Schlusswort vor Gericht versucht sich Massenmörder Breivik als Freiheitsheld darzustellen. Und seine Verteidigung fordert den Freispruch. Die eigentliche Frage aber ist: Ist er zurechnungsfähig oder nicht? Davon hängt das Urteil ab. Christoph Herwartz schreibt bei n-tv.de von einer absurden Situation. Die deutschen Tageszeitungen sehen das ähnlich.
Die Passauer Neue Presse schreibt: "Breiviks kalkulierter Wille zu töten, sein abstruser und bösartiger Fremdenhass, sein krankhaftes Selbstbild eines 'arischen' Heilsbringers zeigen einen Menschen auf dem schmalen Grat zwischen hochintelligentem Verbrechertum und irrwitzigem Wahn. Deswegen haben wohl beide Gutachter-Seiten Recht: Breivik ist zurechnungsfähig und unzurechnungsfähig zugleich. So gesehen ist es wohl zweitrangig, ob er hinter Gefängnismauern samt anschließender Sicherungsverwahrung oder in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht wird. Hauptsache, er bleibt weggesperrt für den Rest seiner Tage."
Das sieht Die Welt meint: "Schnell und gründlich lief das Verfahren ab - ein Glanzstück des norwegischen Rechtssystems, das sich mit so hervorragenden Juristen wie der Staatsanwältin Inga Bejer Engh und der Richterin Elisabeth Arntzen gut in Szene setzen konnte. Nicht ganz so glänzend steht dagegen die Rechtspsychiatrie dar. Mit schwammig definierten Begriffen und zwei völlig gegensätzlichen Gutachten hat sie die für die Verurteilung entscheidende Frage, ob Breivik unzurechnungsfähig ist, nicht beantworten können. Stattdessen entspann sich rund um diesen Komplex eine Gutachterschlacht, in der viele Ferndiagnosen gestellt und Sachverständigen-Schelte betrieben wurde."

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung urteilt selbst: "So besteht nur die Alternative: eine Haftstrafe von maximal zwanzig Jahren oder die Einweisung in die Psychiatrie, was bei einem 33 Jahre alten Patienten viel langfristigere Folgen haben kann. Die Richter haben nach Abschluss der Untersuchungen und der Plädoyers zwar einen Monat Zeit, um ihr Urteil zu wägen, aber eigentlich keine Wahl. Allein die Einweisung in die Psychiatrie wird der Tat, dem Täter und dem Rechtsstaat gerecht. Die Verurteilung zu der höchsten gesetzlich möglichen Haftstrafe könnte hingegen in zwanzig Jahren zu der Absurdität führen, dass der Massenmörder - noch vor dem Königspaar - zum am besten geschützten freien Mann des Landes wird, um ihn vor Nachstellungen aus dem In- oder Ausland oder Anschlägen zu retten. Für die Einweisung in die Psychiatrie sprechen hingegen viele Gründe."
Die Braunschweiger Zeitung meint: "Normalität ist eine Abgrenzung zum Abgrund, aber kein Schutz vor ihm. Denn es gibt immer Menschen, wie den Massenmörder Breivik, die außerhalb der Zivilisation agieren. Psychiater können versuchen, eine Person auszuleuchten. Vielleicht ist aber im Zuge dieses Verstehen-Wollens ein anderer Aspekt in der jüngeren Geschichte vernachlässigt worden. Es ist die Frage nach dem Bösen, das in der Lust am Quälen und Töten seinen Ausdruck findet. Für das Böse reichen die Kategorien 'krank' oder 'rational' nicht. Jedes Urteil muss vor einem solchen Hintergrund unbefriedigend bleiben."
Die tageszeitung sieht ein ganz anderes Problem: "Nach zehnwöchigem Prozess steht das Gericht in Oslo vor der gleichen Frage wie am Anfang: Ist Breivik als schuldfähig einzustufen oder ist er unzurechnungsfähig? Doch ist es wirklich so entscheidend, ob er die nächsten zwei Jahrzehnte in einer geschlossenen Psychiatrie oder in einer Haftanstalt verbringt? Eines nämlich hat der Prozess klar gemacht: Breiviks Tat war politisch. Mag er in seinen Handlungen der einsame Täter gewesen sein, so steht er mit seinen Ideen alles andere als allein. Wie ein roter Faden zieht sich durch sein Manifest und seine Stellungnahmen jenes Räsonnement, das man aus der Counterjihad-Ecke und vom traditionellen Rechtsextremismus her kennt."
Quelle: ntv.de